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100 Tage Bolsonaro Ein Präsident, der lieber provoziert als reformiert

Jair Bolsonaro ist sich treu geblieben: Zu seinen ersten Amtshandlungen gehörten die Schwächung der Indigenenbehörde sowie eine flexiblere Regelung für den Waffenbesitz. Doch im Parlament kam die Rentenreform, die Wirtschaft und Märkte von Bolsonaro erwarten, nicht voran. In den ersten 100 Tagen hatte der Präsident wenig Substanzielles zu verkünden, aus dem Regierungspalast drangen vor allem Skandale und Machtkämpfe nach Aussen.

Das Ergebnis: Bolsonaro hat nach drei Monaten in den Umfragen so schlechte Zustimmungswerte, wie kein anderer Präsident vor ihm seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1985. Rund 30 Prozent der Brasilianer bewerten in Umfragen seine Regierungszeit mit «schlecht» oder «sehr schlecht». Dennoch überwiegt die Hoffnung: Rund zwei Drittel der Brasilianer glauben, Bolsonaro werde es richten. Dafür müsste er jedoch Mehrheiten im Parlament herstellen – die bisher nicht in Sicht sind. Die Regierung strebt sie gar nicht an. Auf dem Spiel steht die Regierungsfähigkeit.

Ein umstrittenes neues Waffengesetz

Brasilien hat genügend Probleme, die dringend Lösungen fordern: Fast 44 Millionen der rund 210 Millionen Brasilianer gelten als arm – die Arbeitslosenquote steigt. Die Mordrate ist eine der höchsten der Welt, 2017 starben mehr als 64'000 Menschen eines nicht natürlichen Todes. Das Rezept der Regierung: Waffen zur Selbstverteidigung.

Damit ignoriert sie unzählige Statistiken und Studien, die zeigen, dass mehr Waffen nicht für weniger Gewalt sorgen. Brasilianer können nun bis zu vier Waffen besitzen, wenn sie nicht vorbestraft sind und einen Grund vorweisen können, warum sie eine Waffe brauchen. Als solcher gilt: auf dem Land wohnen oder in einer städtischen Gegend mit einer besonders hohen Mordrate. Alle brasilianischen Bundesstaaten weisen Mordraten über dem festgelegten Grenzwert vor.

Ins Exil wegen drohender Homophobie

Zwar beschweren sich Wirtschaftsvertreter, Bolsonaro und sein Kabinett hätten noch gar nicht wirklich mit dem Regieren begonnen. Andere haben genau davor Angst. Indigene müssen um die ihnen zugesprochenen Gebiete bangen und sexuelle Minderheiten fürchten um ihre Rechte.

Ein schwuler Abgeordneter ging aufgrund von Morddrohungen bereits nach Deutschland ins Exil. Umweltzerstörung und Polizeigewalt haben auch ohne neue Gesetze bereits zugenommen. Viele fürchten sich zudem vor der Rentenreform, die Bolsonaros Wirtschaftsminister anstrebt: Sie bringe in erster Linie Altersarmut.

Als Militär geboren – nicht als Präsident

Der Aussenminister behauptete, dass der Nationalsozialismus eine linke Bewegung war. Und Bolsonaro pflichtete ihm später bei, das sei «ohne Zweifel» der Fall. Als er dies sagte, war er gerade auf Staatsbesuch in Israel – bei der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.

Bolsonaro war angetreten, um alles anders zu machen – nieder mit der «alten Politik» und korrupten Strukturen. Doch nun lasten bereits Korruptionsvorwürfe auf ihm und seiner Familie. Mindestens einer von Bolsonaros Söhnen soll enge Verbindungen zu bewaffneten, ultrarechten Milizen haben.

Dem Präsidenten scheint langsam klar zu werden, auf was er sich da eingelassen hat. Er sagte letzte Woche: «Ich wurde nicht geboren, um Präsident zu sein. Ich wurde geboren, um Militär zu sein.» Eine Aussage, die nicht unbedingt beruhigt von Seiten eines Mannes, für den die brasilianische Militärdiktatur eine «demokratische Intervention» war.

Karen Naundorf

Südamerika-Korrespondentin

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Karen Naundorf ist SRF-Korrespondentin in Südamerika, Standort Buenos Aires. Sie hat in Berlin und Barcelona Kommunikation studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg absolviert und ist Fellow des Pulitzer Center on Crisis Reporting.

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