UNO-Generalsekretär António Guterres ist derzeit im Irak – zum ersten Mal seit sechs Jahren. Bei seiner Ankunft in Bagdad sprach er von einem «Besuch der Solidarität mit den Menschen und den demokratischen Institutionen des Irak».
In diesem Monat jährt sich die US-geführte Invasion des Iraks zum 20. Mal. Innerhalb weniger Wochen wurde damals Diktator Saddam Hussein gestürzt. Es war das Ende einer jahrzehntelangen Schreckensherrschaft – und der Anfang des nächsten Martyriums für die irakische Bevölkerung. Der Irak versank im Chaos, Hunderttausende Menschen sollten sterben.
Sektiererische Gewalt überzog das Land, die «Koalition der Willigen» verstrickte sich in einem Krieg, in dem es nur Verlierer gab, und ein Ableger der Terrororganisation Al-Kaida installierte sich im Irak. Aus ihm sollte später der IS hervorgehen.
Der Irak ist gezeichnet von den Folgen des amerikanischen Angriffskrieges vor zwanzig Jahren.
«Die Herausforderungen, mit denen der Irak konfrontiert ist, sind nicht über Nacht entstanden», sagte Guterres flankiert vom irakischen Premierminister Mohammed Shia al-Sudani. «Sie sind das Produkt jahrzehntelanger Unterdrückung, von Krieg, Terrorismus und ausländischer Einmischung.»
Doch wie ist die Situation heute? «Der Irak ist gezeichnet von den Folgen des amerikanischen Angriffskrieges vor zwanzig Jahren», sagt Susanne Brunner. Sie hat das Land während ihrer Zeit als Nahostkorrespondentin von SRF mehrfach bereist.
Gewaltige Herausforderungen
Guterres betonte in Bagdad, dass sich die Situation im Vergleich zu früheren Jahren verbessert habe. «Besser ist aber noch lange nicht gut», relativiert Brunner. «Das Land hat gewaltige Probleme.»
Nach wie vor gibt es Hunderttausende Vertriebene im eigenen Land, Klimawandel, Korruption und Nahrungsmittelunsicherheit machen dem Irak zu schaffen. Genauso wie der starke Einfluss seines Nachbarlandes Iran.
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Bild 1 von 5. Bis heute leben Hunderttausende Vertriebene in Zeltlagern im Irak. Darunter viele Angehörige der religiösen Minderheit der Jesiden, die vom IS vertrieben wurden. UNO-Chef Guterres appellierte an die politische Führung in Bagdad, ihnen die Rückkehr in ihre Heimatregion zu ermöglichen. Bildquelle: Reuters/Rodi Said.
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Bild 2 von 5. Im benachbarten Syrien wiederum leben zehntausende Kinder und Frauen von IS-Angehörigen unter prekären Bedingungen in Lagerhaft. Menschenrechtsorganisationen fordern ihre Repatriierung in den Irak. Ein Drittel der Bewohner des berüchtigten Al-Hol-Camps in Nordsyrien sind unter 16 Jahre alt. Gewalt ist an der Tagesordnung. Bildquelle: Keystone/AP/Baderkhan Ahmad.
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Bild 3 von 5. Nachhaltig befriedet ist das Land bis heute nicht. Im Irak gibt es über 100 bewaffnete Gruppierungen, während sich auch die Terrormiliz IS neu formiert. Auf seinem Höhepunkt kontrollierte der IS weite Teile des Landes, darunter Mosul, die zweitgrösste Stadt des Irak. Bildquelle: Keystone/AP/Khalid Mohammed.
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Bild 4 von 5. Der Klimawandel trifft den Irak massiv. «Das Land leidet an akutem Wassermangel und den Folgen jahrzehntelangen Raubbaus, der noch auf den ehemaligen Herrscher Saddam Hussein zurückgeht», sagt Susanne Brunner. Manchenorts verdorren ganze Landstriche, wo früher Palmenwälder an Flüssen standen. Bildquelle: Keystone/EPA/Ahmed Jalil.
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Bild 5 von 5. Der Krieg hat – wie hier in Mosul – gewaltige Verwüstungen hinterlassen. Vielerorts fehlt das Geld, um Städte und Dörfer wieder aufzubauen. Und wenn Geld da wäre, versiegt es oft durch die grassierende Korruption im Land. Bildquelle: Keystone/AP/Felipe Dana.
Zuletzt war Brunner im Spätsommer 2022 im Irak. «In Bagdad sah es damals auf den ersten Blick besser aus als in Beirut», berichtet die heutige Auslandredaktorin von SRF. «Es gab den halben Tag Strom, Menschen sassen in Cafés und das an Strassen, wo es vor ein paar Jahren noch fast täglich Anschläge gab.»
Doch der friedliche Schein trog. «Es brodelte im Land», erinnert sich Brunner. In Bagdad tobte ein Machtkampf zwischen iran-treuen Kräften und Anhängern des irakischen Nationalisten Muktada al-Sadr. In anderen Landesteilen terrorisierte der wieder erstarkte IS die Menschen.
Die Regierung kann die Sicherheit im Land nicht garantieren – und ohne diese gibt es keine Entwicklung.
Nach jahrelangem politischem Patt hat der Irak seit letztem Oktober eine neue Regierung. Bei seiner Ankunft lobte Guterres deren «ambitionierte Reformagenda» und versprach die Unterstützung der UNO.
Der Irak bestimmt sein Schicksal nicht selbst
Die Regierung unterhält enge Beziehungen zur regionalen schiitischen Grossmacht Iran. Nicht mehr vertreten sind aber die eigentlichen Gewinner der Wahlen vom vergangenen Mai: die Anhängerschaft von Muktada al-Sadr.
Bis heute sei der Irak nicht wirklich ein souveräner Staat, schliesst die Nahost-Expertin: «Regionale Mächte mischen mit, plündern die Ressourcen des Landes und heizen interne Konflikte an.»
Brunners trauriges Fazit: Der Irak hätte eigentlich alles. Rohstoffe, landwirtschaftliche Produkte, eine teilweise sehr gut ausgebildete Jugend. «Aber die Regierung kann die Sicherheit im Land nicht garantieren – und ohne diese gibt es keine Entwicklung.» Immerhin sei der Besuch des UNO-Chefs ein Zeichen, dass die Welt den Irak nicht ganz vergessen habe.