«Hurra, wir haben heute unsere Impfung erhalten», freut sich die Pflegerin Judith Forbes, und erklärt: «Gestern erhielt ich eine E-Mail und für heute konnte ich den Termin buchen, das lief problemlos.»
Die Briten impfen zurzeit 200 Personen pro Minute, es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn alle 30 Sekunden wird ein Covid-Patient ins Krankenhaus eingeliefert. Die englische Virusvariante ist ansteckender und gemäss ersten Hinweisen womöglich auch tödlicher.
Frühe Taskforce
Grossbritannien ist eines der Länder, welches am schwersten von Corona betroffen ist. Ausserdem ist das britische Gesundheitssystem seit Jahren chronisch unterfinanziert und die Spitäler sind auch in einem normalen Winter während der Grippesaison am Anschlag.
Der Druck auf die Regierung war deshalb bereits im letzten Frühling besonders hoch, ist der Volkswissenschaftler Marco Hafner überzeugt, und das habe für Tempo gesorgt: «Die britische Regierung hat sehr früh eine spezielle Taskforce gebildet und sich mit logistischen Fragen beschäftigt, also etwa wie kann der Impfstoff am besten verteilt werden.» Marco Hafner arbeitet für die Denkfabrik «Rand» und hat sich mit den Impfstrategien westlicher Länder und der globalen Virusbekämpfung befasst.
Es drohen Lieferengpässe
Die Briten haben mit dem Impfstoff von AstraZeneca auch einen gewissen Heimvorteil, die Universität in Oxford hat ihn mitentwickelt und die Produktion ist in Wales. Doch wie viele andere Länder könnte auch das Vereinigte Königreich nun von Lieferengpässen eingeholt werden, weil zum Beispiel Pfizer/Biontech nicht genügend produziert.
Zu späte Logistikplanung ist ein wesentlicher Grund für die jetzigen Probleme in vielen Staaten, weiss der Professor für Logistik an der Universität St. Gallen, Wolfgang Stölzle: «Viele Länder haben vollmundige Versprechungen gemacht, ohne vorher die Rahmenbedingungen abzuklären.» Viel zu spät sei analysiert worden, wie viel Impfstoff vorhanden sein werde, wie dieser gelagert werden müsse und wie die Distribution funktioniere.
Forsch aber nicht ohne Kritik
Die britische Regierung hat diese Probleme genauso, wagt aber immer wieder auch unkonventionelle Schritte, die mitunter heikel sind. Zurzeit entstehen 1000 Impfzentren, genutzt werden dafür auch Kirchen, wie etwa in Salisbury.
Ende Januar soll erstmals auch nachts geimpft werden. Zudem gehört Grossbritannien mit Japan, Kanada und den USA zu denjenigen Ländern, die viel mehr Impfstoffe gekauft haben, als sie brauchen. Unklar ist bis heute, ob die Briten für ihren frühen Einkauf vielleicht auch einiges mehr bezahlt haben als andere.
Die gekauften Impfstoffe genehmigten sie per Notfallzulassung, statt auf dem regulären Weg. Die zweite Impfdosis wird später verabreicht als von Herstellern empfohlen, um mehr Leuten eine erste Impfung geben zu können. Letzteres wird von Herstellern sowie der British Medical Association kritisiert, denn es gibt keine Untersuchungen, welche Auswirkungen die Verzögerung auf die Wirksamkeit der Impfung hat.
Ob sich dieses riskante Vorgehen lohnt, wird man wohl erst rückwirkend beurteilen können. Die geimpfte Pflegerin Judith Forbes macht sich noch keine Sorgen. Auf die Frage, was sie vom Tempo der Briten hält, sagt sie: «Naja, zumindest etwas scheinen wir in dieser Krise richtig zu machen.»