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Grösster Gefangenenaustausch seit Ende des Kalten Krieges
Aus Tagesschau vom 01.08.2024.
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26 Inhaftierte kommen frei Biden bestätigt: Gershkovich und Whelan in Russland freigelassen

  • Die in Russland wegen Spionage zu langen Haftstrafen verurteilten US-Bürger Evan Gershkovich und Paul Whelan sind frei.
  • Ihre Freilassung aus Russland ist gemäss US-Präsident Joe Biden Teil eines grösseren Gefangenenaustausches.
  • Der türkische Geheimdienst, der die Aktion koordinierte, teilt mit, dass 26 Personen aus sieben Ländern ausgetauscht wurden.
  • Auch der sogenannte Tiergartenmörder Wadim Krassikow, der in Deutschland in Haft sass, kam frei.

«Einige dieser Frauen und Männer wurden jahrelang ungerechtfertigt festgehalten. Alle haben unvorstellbares Leid ertragen. Ihre Qualen sind heute beendet», schreibt der US-Präsident in einer Erklärung. «Das Abkommen war eine diplomatische Meisterleistung.»

Unter den von Russland und dem verbündeten Belarus Freigelassenen sind fünf Deutsche, drei US-Bürger, eine Person mit US-Aufenthaltserlaubnis und sieben Russen, heisst es in einer Mitteilung aus dem Weissen Haus.

Biden dankt Deutschland für Gefangenenaustausch

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US-Präsident Joe Biden hat die Zusammenarbeit mit den Verbündeten bei dem Gefangenenaustausch gelobt und sich speziell auch beim deutschen Kanzler Olaf Scholz bedankt. «Ich empfinde grosse Dankbarkeit gegenüber dem Kanzler», sagte Biden bei einem Auftritt vor der Presse im Weissen Haus. Deutschland habe grosse Zugeständnisse gemacht und nichts im Gegenzug verlangt. «Wenn jemand infrage stellt, dass Verbündete zählen – sie tun es.» Länder wie Deutschland, Polen, Slowenien und Norwegen, hätten mutige Entscheidungen getroffen. Sie hätten zu Recht inhaftierte Verbrecher ausgeliefert, um sie gegen zu Unrecht verurteilte Amerikaner, Deutsche und Russen freizubekommen. «Allianzen geben uns Sicherheit», betonte Biden.

Der türkische Geheimdienst MIT hat den Austausch nach eigenen Angaben selbst organisiert. Er teilt mit, dass dabei sieben Flugzeuge beteiligt gewesen seien. Ausgetauscht wurden in Ankara Gefangene, die auch in Gefängnissen in Polen und Slowenien, Norwegen und Belarus sassen.

Russisches Flugzeug an Flughafen.
Legende: Ein russisches Regierungsflugzeug steht laut Reuters nach der Landung auf dem Flughafen Esenboga in Ankara auf der Rollbahn. REUTERS / Tunahan Turhan

Der US-Fernsehsender Fox News hatte zuvor berichtet, dass der in Russland inhaftierte «Wall Street Journal»-Reporter Evan Gershkovich im Rahmen eines Gefangenenaustauschs in die USA zurückkehren solle. Der 32-Jährige war am 19. Juli 2024 wegen Spionage zu 16 Jahren Haft verurteilt worden. Der 54-jährige frühere US-Soldat Whelan wurde im Dezember 2018 ebenfalls wegen Spionage in Russland inhaftiert.

Das sind die Freigelassenen

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Das sind die bekanntesten Inhaftierten, die heute freigekommen sind:

«Tiergartenmörder» Wadim Krassikow: Mehr als ein Jahr sass Krassikow im Berliner Kammergericht auf der Anklagebank. Am 15. Dezember 2021 verurteilten die Richter den Russen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe – für den Mord an einem Georgier am 23. August 2019 in der Berliner Parkanlage Kleiner Tiergarten. Die Auftraggeber für den Mord sassen nach Überzeugung des Gerichts in Russland.

Evan Gershkovich: Der 32 Jahre alte US-Reporter Evan Gershkovich wurde Mitte Juli in einem umstrittenen Prozess wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt. Der Russland-Korrespondent des US-Magazins «Wall Street Journal» war Ende 2023 auf einer Reportage-Reise in Jekaterinburg am Ural vom russischen Geheimdienst FSB festgenommen worden. Ihm wurde zur Last gelegt, er habe geheime Informationen über Russlands Rüstungskomplex für US-Stellen gesammelt. Das «Wall Street Journal» wies das zurück. Gershkovich sei mit einer offiziellen Akkreditierung seiner Arbeit nachgegangen.

Paul Whelan: Der 54 Jahre alte ehemalige US-Soldat Paul Whelan wurde bereits im Juni 2020 von einem russischen Gericht wegen angeblicher Agententätigkeit zu 16 Jahren Straflager verurteilt. Davor hatte er rund anderthalb Jahre lang in Haft gesessen. Whelan, der mehrere Staatsbürgerschaften hat, soll nach Darstellung des FSB als Spion auf frischer Tat ertappt worden sein. Die US-Regierung forderte wiederholt die Freilassung Whelans, weil in dem Verfahren keine Beweise vorgelegt worden seien.

Rico K: Der 30 Jahre alte Deutsche wurde Ende Juni in Belarus zum Tode verurteilt. Der Vorwurf: Söldnertum und Terrorismus, angeblich hatte sich Rico K., Rettungssanitäter aus Hildesheim, vom ukrainischen Geheimdienst SBU als Söldner anwerben lassen. Da Belarus als letztes Land in Europa die Todesstrafe vollstreckt, war die Sorge auch im Auswärtigen Amt gross. Lukaschenko hob das Todesurteil gegen den Mann am Donnerstag vergangener Woche nach einer Unterredung mit Ermittlern und dem Anwalt auf.

Wladimir Kara-Mursa: Der 42-Jährige gehört zu den prominentesten Oppositionellen in Russland. Er war im April 2023 unter dem Vorwurf des Hochverrats zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Der beispiellose Richterspruch löste weltweit Entsetzen aus. Zuletzt waren die Sorgen um den seit langem gesundheitlich schwer angeschlagenen Politiker gross. Seinem Anwalt zufolge war Kara-Mursa im Juni für zunächst geplante sechs Monate in eine Zelle mit erschwerten Haftbedingungen verlegt worden.

Ilja Jaschin: Der 41-jährige Politiker gehört zu den schärfsten Kritikern von Kremlchef Wladimir Putin. Jaschin blieb in Russland, als viele andere Kremlgegner schon ins Ausland geflüchtet waren. Weil er den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine anprangerte und vor allem die Soldaten seiner Heimat für das Massaker an Zivilisten in Butscha in der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew verantwortlich machte, wurde er im Dezember 2022 wegen Verunglimpfung der Armee zu achteinhalb Jahren Straflager verurteilt

Oleg Orlow: Der 71-Jährige gehört zu den bekanntesten Menschenrechtlern und mutigsten Kämpfern für Gerechtigkeit in Russland. Auch der Mitgründer der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation Memorial wurde wegen Kritik an Putins Krieg zu Lagerhaft verurteilt, und zwar zu zweieinhalb Jahren.

Alsu Kurmasheva: Ein russisches Gericht verurteilte die US-amerikanische Journalistin Alsu Kurmasheva erst vor wenigen Tagen zu sechseinhalb Jahren Strafkolonie wegen angeblicher Falschmeldungen über die Armee. Anlass für das Urteil war ein von ihr im November 2022 veröffentlichtes Buch mit dem Titel «Nein zum Krieg. 40 Geschichten von Russen, die sich gegen die Invasion der Ukraine wehren», wie die russische Oppositionsplattform «meduza» mitteilte.

Freigelassen wurden auch weitere russische politische Gefangene, darunter die Künstlerin Alexandra Skotschilenko und die früheren Leiterinnen der Regionalstäbe des Kremlgegners Nawalny, Lilija Tschanyschewa aus Ufa und Xenia Fadejewa aus Tomsk. Auch der Nawalny-Mitarbeiter Wadim Ostanin kam in Freiheit. Alle sind Gegner des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und erhielten langjährige Strafen. Der Westen hatte die Urteile als Justizwillkür kritisiert und die Freilassung der Gefangenen gefordert. In Freiheit kam auch der 19 Jahre alte Deutsch-Russe Kevin L., der im Dezember 2023 wegen Landesverrats zu vier Jahren Haft verurteilt worden war.

In den russischen Straflagern sitzen auch nach dem Austausch weiter Dutzende politische Gefangene.

Russische Oppositionelle kommen frei

Nach Angaben des türkischen Präsidialamts umfasst der Austausch auch die russischen Dissidenten Ilja Jaschin und Wladimir Kara-Mursa. Auch der Menschenrechtler Oleg Orlow von der Organisation Memorial und die Künstlerin Alexandra Skotschilenko sollen freikommen.

Zwei Männer vor einem Reisebus, einer maskiert, der andere trägt eine Tasche.
Legende: Russland hat den USA den wegen Spionage verurteilten Korrespondenten des «Wall Street Journal», Evan Gershkovich, übergeben. Das Bild zeigt Gershkovich beim Verlassen von Russland. KEYSTONE/SPUTNIK

Ausgetauscht wird auch der sogenannte Tiergartenmörder Wadim Krassikow. Dieser war wegen Mordes an einem tschetschenisch-georgischen Dissidenten im Tiergarten in Berlin zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Krassikows Freilassung stösst insbesondere bei den Angehörigen des Opfers auf Unverständnis sowie Enttäuschung, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet.

Die Bundesregierung habe sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht, heisst es in einer Medienmitteilung: «Dem staatlichen Interesse an einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe eines verurteilten Verbrechers standen die Freiheit, das körperliche Wohlergehen und – in einigen Fällen – letztlich auch das Leben unschuldig in Russland inhaftierter Personen und zu Unrecht politisch Inhaftierten gegenüber.»

Freigelassen wurde auch der Deutsche Rico K., der in Belarus zuerst wegen angeblicher Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag zum Tode verurteilt und dann begnadigt worden ist.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat in der Nacht auf Freitag einen Grossteil der freigekommenen deutschen und russischen Staatsbürger auf dem Flughafen Köln-Bonn begrüsst. «Alle sind wohlbehalten hier angekommen», sagte Scholz kurz nach Mitternacht. An Bord der beiden Flugzeuge aus Ankara sollen etwa ein Dutzend der insgesamt 16 Freigelassenen gewesen sein, wie die Nachrichtenagentur Reuters mitteilt.

Auf russischer Seite hat Präsident Wladimir Putin die vom Westen freigelassenen Russen persönlich am Moskauer Flughafen empfangen und ihnen gemäss Reuters versprochen, sie mit staatlichen Auszeichnungen zu ehren.

Amnesty: Austausch mit bitterem Beigeschmack

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Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüsst den Gefangenenaustausch mit Russland, warnt aber vor den Folgen solcher Deals. «Ich bin wirklich sehr erleichtert, dass Sascha Skotschilenko, Oleg Orlow und die anderen nun in Freiheit sein werden. Sie haben Unglaubliches durchgemacht», sagte der stellvertretende Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Christian Mihr. Zum Teil sei ihnen in Haft eine angemessene medizinische Versorgung oder Kontakt zu Angehörigen verweigert worden.

Russlands Präsident Wladimir Putin instrumentalisiere augenscheinlich Recht und Gesetz, um mit politischen Gefangenen als Faustpfand seine Interessen durchzusetzen. «Daher hat der Austausch einen bitteren Beigeschmack. Ein Mörder und andere Verbrecher, die in einem fairen Prozess verurteilt wurden, kommen nun frei im Austausch für Menschen, die nur ihr Recht auf freie Meinungsäusserung wahrgenommen haben», sagte Mihr weiter.

Der Gefangenenaustausch sei somit auch «ein Schritt in Richtung Ausweitung der Straflosigkeit». «Die russische Regierung könnte sich so zu weiteren politischen Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen ermutigt fühlen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen», hiess es in der Stellungnahme.

SRF 4 News, 01.08.2024, 16:00 Uhr ; 

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