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Volksaufstand in der DDR: 70 Jahre danach
Aus Tagesschau vom 17.06.2023.
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70. Jahrestag Aufstand in der DDR: «Am 17. Juni 1953 war die SED am Ende»

Der Aufstand der Ostdeutschen schockierte die kommunistische Diktatur. Die Erinnerungen daran verblassen aber zusehends.

Es war das berühmte Tröpfchen zu viel, welches das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen brachte: Der Beschluss des Politbüros der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) Ende Mai 1953, die Arbeitsnormen in Betrieben und auf Baustellen zu erhöhen.

Dabei gärte es längst in der Bevölkerung der noch jungen Deutschen Demokratischen Republik. Während im Westen des geteilten Deutschlands das Wirtschaftswunder begann, waren im Osten Grundnahrungsmittel noch rationiert. Um den Strombedarf für die einseitig geförderte Schwerindustrie zu decken, sassen die Bürgerinnen und Bürger abends im Dunkeln.

Zu Beginn wurden Bürgermeister verprügelt und Funktionäre gezwungen, in Jauchegruben zu springen.
Autor: Jens Schöne Berliner Beauftragter für die Aufarbeitung der SED-Diktatur

Immer wieder kam es zu Versorgungskrisen, die Produktivität in Produktionsgenossenschaften nach marxistisch-leninistischer Ideologie sank, es fehlte dem Arbeiter- und Bauernstaat zusehends an Personal: Ab Sommer 1952 bis Sommer 1953 setzten sich 300‘000 Menschen aus der DDR über die Berliner Sektorengrenze ab.

Zündender Funke an der Stalin-Allee

Weniger Wohlstand und mehr Arbeit, eine explosive Mischung, der man sich in Moskau sehr wohl bewusst war. Die SED-Führung wurde Anfang Juni explizit angewiesen, die dogmatische Politik zu mässigen, Vorgaben zeitlich zu strecken oder zurückzunehmen.

In der DDR-Bevölkerung, inzwischen erprobt im Zwischen-den-Zeilen-Lesen, verfing der am 11. Juni 1953 von der SED verkündete «Neue Kurs» jedoch nicht. In vielen Dörfern begannen die Bauern zu rebellieren. «Dort war der Druck am höchsten», sagt Jens Schöne. Laut dem Berliner Beauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur sind die ersten Reaktionen archaisch gewesen: «Da wurden Bürgermeister verprügelt und Funktionäre gezwungen, in Jauchegruben zu springen.»

Weil die Normerhöhungen nicht wieder gesenkt wurden, legten am 16. Juni die Bauarbeiter am Vorzeigeprojekt Stalin-Allee in Ostberlin die Arbeit nieder und riefen - eher spontan - zum Generalstreik auf.

Westliche Medien berichteten und der Funke sprang über: Am 17. Juni 1953 gingen mehr als eine Million Menschen auf die Strasse, in über 700 Städten und Ortschaften der DDR wurde demonstriert und gestreikt. Forderungen nach einer Aufhebung der Arbeitsnormen oder der Auflösung landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften wandelten sich rasch zum Ruf nach freien Wahlen.

Blutige Niederschlagung

Sicherheitskräfte wurden entwaffnet und SED-Funktionäre reagierten panisch auf die revolutionäre Stimmung, den Sturm auf Parteizentralen und Stasi-Dienststellen, auf Gefängnisse, aus denen politische Gefangene befreit wurden.

Schwarzweiss-Bild: Panzer steht inmitten einer Menschenmenge.
Legende: Aufnahmen aus Ostberlin zeigen die grossen Menschenmengen, die am Aufstand beteiligt waren. Sowjetische Panzer bereiteten dem ein Ende. IMAGO / Photo12

«Die SED war ohne Zweifel am 17. Juni 1953 am Ende», urteilt Historiker Jens Schöne, «die Sowjetunion übernahm.» Die Besatzungsmacht rückte mit Panzern an, verhängte den Ausnahmezustand – und schoss scharf. Historikern zufolge starben über 55 Menschen, rund 15‘000 wurden verhaftet, zum Tod oder langen Haftstrafen verurteilt.  

In der offiziellen Lesart der DDR wurde der 17. Juni als «faschistischer Putschversuch» diffamiert. Die Bundesrepublik erklärte das Datum zum «Tag der deutschen Einheit». Mit der Wiedervereinigung wurde der 17. Juni aber als Feiertag gestrichen. Und da auch die meisten Zeitzeugen inzwischen gestorben sind, verblasst die Erinnerung an den ersten Aufstand gegen das kommunistische System.

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Aus dem Archiv: 60. Jahrestag des Aufstands in der DDR
Aus Tagesschau vom 17.06.2013.
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SRF 4 News, 17.06.2023; 16:30 Uhr

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