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Ab wann sind Politiker immun? «Spaniens Umgang mit den Separatisten steht auf dem Prüfstand»

Das höchste Gericht der EU muss ein Urteil zu Oriol Junqueras fällen. Junqueras ist ein katalanischer Separatist, der ins EU-Parlament gewählt wurde. Den Amtseid konnte er zwar nicht ablegen. Erhält er trotzdem parlamentarische Immunität? Die Journalistin Julia Macher erklärt die Zusammenhänge.

Julia Macher

Journalistin in Barcelona

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Julia Macher berichtet aus Spanien für verschiedene Radio- und TV-Sender, hauptsächlich über Gesellschaft und Kultur.

SRF News: Inwiefern ist dieses Urteil auch für Carles Puigdemont von Bedeutung?

Julia Macher: Auch für Puigdemont ist es entscheidend. Denn wenn Junqueras parlamentarische Immunität erhält, dann müsste sie auch für Puigdemont und Toni Comin gelten.

Ist Junqueras erst immun, wenn er sein Amt antritt, also Platz nimmt und schwört, oder bereits seit seiner Wahl?

Puigdemont könnte sich, wenn das Gericht der Immunität stattgibt, frei bewegen und sogar wieder nach Spanien einreisen, zum ersten Mal seit 2017. Auch das Auslieferungsgesuch, das Spanien an Belgien gestellt hat, wäre vorerst hinfällig.

Eine andere Frage ist, wie lange die Immunität andauern würde. Wahrscheinlich würde Spanien das EU-Parlament ersuchen, die parlamentarische Immunität wieder aufzuheben.

Über welche Frage muss der Europäische Gerichtshof genau entscheiden?

Konkret geht es um die Frage, ab wann ein EU-Parlamentarier Immunität zugesprochen erhält. Ist er erst immun, wenn er sein Amt antritt, also Platz nimmt und schwört, oder bereits seit seiner Wahl? Die spanische Justiz ist vom ersteren ausgegangen und hat allen drei gewählten separatistischen Parlamentariern die Formalien, die sie gebraucht hätten, um das Amt anzutreten, verweigert. Der Generalstaatsanwaltschaft des Europäischen Gerichtshofs sagt dagegen, die Gewählten seien immun ab der Wahl.

Bisher war es so, dass der Europäische Gerichtshof in ungefähr 80 Prozent das macht, was der Generalstaatsanwalt empfiehlt. Ob es sich auch diesmal so verhält, wird sich zeigen.

Welchen Einfluss hat das Urteil auf die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien?

Es kann in zweifacher Hinsicht Einfluss haben. Zum einen, weil sich die Separatisten in ihrer Argumentation gestärkt sehen. Konkreten politischen Einfluss könnte der Entscheid aber vor allem auf die katalanischen Linksrepublikaner haben. Das ist die Partei, die Oriol Junqueras präsidiert.

Der spanische Sozialdemokrat Pedro Sánchez braucht die Stimmen der Linksrepublikaner, um sich zum Premier wählen lassen zu können.

Über sie hat er Einfluss auf die spanische Politik. Spanien hat zurzeit immer noch keine Regierung und der spanische Sozialdemokrat Pedro Sánchez braucht die Stimmen der Linksrepublikaner, um sich zum Premier wählen zu lassen. Würde jetzt der Europäische Gerichtshof quasi die katalanischen Linksrepublikaner stärken, dann würden sich diese wahrscheinlich ihre Zustimmung teurer erkaufen lassen. Das könnte von einer Amnestie bis zum Dauerbrenner Referendum reichen.

Wie wichtig ist Puigdemont für die Unabhängigkeitsbewegung noch?

Sein politischer Einfluss ist enorm gesunken. Der derzeitige Regionalpräsident Quim Torra konferiert zwar fast täglich mit ihm. Aber die Politik kann er aus dem belgischen Waterloo kaum mitbestimmen, vor allem jetzt nicht, denn seine Konkurrenten aus dem separatistischen Lager – die erwähnten katalanischen Linksrepublikaner – haben den Schlüssel zur Macht.

Wie blickt man in Spanien auf diesen Prozess?

Mit einem gewissen Interesse. Einerseits könnte die Entscheidung Einfluss auf die Regierungsbildung haben und andererseits, weil man indirekt auch seine Entscheidungen im Umgang mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung auf dem Prüfstand sieht. Dabei geht der Beschluss, der getroffen wird, auf eine Initiative der spanischen Justiz zurück. Sie hat bei der europäischen Justiz angefragt, um sich zu versichern, dass sie alles richtig macht.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

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