Ein Hinterhof am südlichen Stadtrand von Peking, mittendrin ein zehn Meter hoher Haufen aus Altpapier und Karton. In den halboffenen Gebäuden im Hof gibt es Haufen von PET-Flaschen, Plastiktüten, Altmetall. Ein Kind spielt barfuss zwischen Metallteilen, während die Mutter alte Autobatterien aufeinanderstapelt.
Familie Zhen wohnt direkt neben der Deponie. Frau Zhen kauert am Boden, im offenen Wohnzimmer liegen tausende PET-Flaschen. Ihr Mann und der Sohn sortieren die Flaschen und füllen sie in grosse Säcke ab.
Offene Deponien wie diese sind rund um Peking rar geworden. Im Vergleich zu früher habe sich viel verändert, sagt Frau Zhen. «Man verdient nicht mehr gut», beklagt sie. Viele der Sammler seien in ihre Heimat-Provinzen zurückgekehrt. Dazu komme der Umweltschutz. «Ständig gibt es Kontrollen. Es ist anstrengender als früher.»
Kein Abfall mehr aus dem Ausland
Der Hintergrund: Chinas Regierung will die Abfallverwertung und das Recycling professionalisieren. Dazu gehört, dass sie Abfall nicht mehr im grossen Stil aus dem Ausland importieren will.
«Yang Laji»: Wörtlich übersetzt heisst das «Abfall aus Übersee», sozusagen «Westmüll». Jahrzehntelang wurde der Abfall aus Europa und Nordamerika nach China verschifft. Hier konnte Plastik, Metall und anderes Material weiter verwertet werden. Was genau mit dem verschifften Müll in China passierte, interessierte im Westen niemanden.
Westmüll schädigt Chinas Umwelt
«Der Müll musste mit Wasser und Chemikalien gereinigt werden», sagt der Umweltschützer Liu Hua vom chinesischen Greenpeace-Büro. Das Schmutzwasser sei ungefiltert in die Gewässer zurückgeleitet worden. Restplastik, das nicht verwertet werden konnte, wurde oft verbrannt. «Mit schlimmen Folgen für die Luftqualität.»
Doch wirtschaftlich gesehen machte die Abfallverwertung in China für beide Seiten Sinn: China exportierte Unmengen an Waren mit Containerschiffen in die USA. Auf der Rückfahrt nach China waren diese Schiffe aber leer. Man merkte schnell, dass man die Leerfahrten für Müll nutzen konnte. «Der Westen wurde seinen Abfall los, und China erhielt dafür Material, das es wiederverwerten konnte», beschreibt Liu die Win-Win-Situation.
Vor fünf Jahren kam die Kehrtwende. Die chinesische Regierung begann mit der Operation «Grüner Zaun». In der Folge wurde China wählerischer beim Abfallimport. Denn mit der wachsenden Konsumgesellschaft produzieren die Chinesen immer mehr eigenen Abfall – der ebenfalls wiederverwertet werden will.
Jetzt wird der Abfall geschmuggelt
Seit diesem Jahr gelten deshalb die bislang strengsten Einfuhrbestimmungen. Insgesamt 24 Kategorien von Müll dürfen nicht mehr importiert werden. Darunter sind mehrere Plastik- und Papiersorten sowie Alttextilien.
Doch mit dem Verbot ist es nicht getan. Laut Greenpeace finden noch immer verbotene Stoffe ihren Weg nach China. Seitdem im letzten Jahr bekannt geworden sei, dass ein Grossteil des Mülls aus dem Westen nicht mehr importiert werden darf, werde der Abfall einfach ins Land geschmuggelt, weiss Liu. Offizielle Zahlen gibt es nicht, deshalb ist das Ausmass des Schmuggels schwer abzuschätzen.
Auf chinesischem Plastik fehlen Angaben zu den Inhaltsstoffen.
Für den Greenpeace-Mann ist die Hauptursache für den Müllschmuggel klar: Viele chinesische Unternehmen sind weiterhin auf ausländische Recyclingstoffe angewiesen. Denn viele chinesische Plastikprodukte sind ungenügend deklariert. «Es fehlen oftmals Angaben zum Hersteller und zu den Inhaltsstoffen», sagt Liu. Doch zur Wiederverwertung seien diese Informationen unerlässlich.
Zurück am Stadtrand von Peking. Plötzlich taucht ein Mann auf – dunkle Hose, weisses Hemd, ein Handy in der Hand. Was der ausländische Journalist hier suche, will er wissen. Er ist sichtlich nervös. Ins Mikrofon will der Mann nichts sagen – nur so viel: Das Geschäft sei hart geworden, ausländischen Abfall sortiere man keinen mehr.
Wir machen weiter, so lange man uns lässt.
Und Frau Zhen, was hält sie von der chinesischen Recycling-Politik? Anstatt zu antworten lächelt sie und schüttelt den Kopf. Schliesslich sagt sie: «Keine Ahnung, ich verstehe solche Dinge nicht. Auf die Politik haben wir sowieso keinen Einfluss. Solange man uns lässt, machen wir hier weiter.»
Woher ihre PET-Flaschen genau stammen, kann Frau Zhen nicht sagen. Dafür sei sie schliesslich nicht verantwortlich, sondern nur fürs Sortieren. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Ein paar Lampen tauchen den Hinterhof in schummriges Licht. Im Wohnzimmer stehen jetzt zwei riesige Säcke voller PET-flaschen. Die Zhens haben Feierabend.