Auf dem Balkan, in Nordirland, in Afghanistan, im Irak – General Sir Richard Barrons hat schon auf vielen Schlachtfeldern Truppen kommandiert. Britische und multinationale. Später gehörte er Londons oberster Armeeführung an. Heute leitet der 64-Jährige eine Beratungsfirma für Verteidigung und Sicherheit.
Für ihn steht ausser Frage: «Die ukrainische Gegenoffensive erfüllt die teils weit überzogenen Erwartungen bei weitem nicht. Sie erzielte zwar sehr begrenzte Fortschritte. So funktioniert etwa der Hafen Odessa wieder besser. Und Russland musste seine Schwarzmeerflotte in den Osten zurückziehen.»
Westen muss «erheblich stärker helfen»
Doch inzwischen sei zweierlei klar: «Es wird erstens ein sehr langer Krieg werden – und zweitens hat die Ukraine nur eine Chance, wenn ihr der Westen endlich noch erheblich stärker als bisher hilft.»
Barrons versteht, dass die USA und Europa nach der Invasion nicht unverzüglich sehr viel mehr Rüstungsgüter schickten. «Sie konnten nur anbieten, was sie in den Arsenalen hatten. Und das war teils ein Sammelsurium an veralteten Waffensystemen.»
Wladimir Putin ist absolut überzeugt, dass er bloss noch eine Weile durchhalten muss. Falls in den USA Donald Trump erneut Präsident werde, liesse Washington die Ukraine im Stich und Europas Rückhalt zerbrösle – davon geht er aus.
Dazu kam ein selber gesetztes Limit: Nämlich nichts zu liefern, was einen direkten Krieg zwischen Russland und der Nato hätte provozieren können. Doch spätestens jetzt sei der Moment für eine massiv erweiterte Unterstützung gekommen. Europa müsse nun die eigene Rüstungsproduktion hochfahren – was bisher bloss zögerlich geschieht – und Europa könne und müsse sich im eigenen Interesse die Hilfe für die Ukraine, etwa achtzig Milliarden Euro pro Jahr, finanziell leisten.
Kreml hat Grund zur Zuversicht
Barrons schliesst rundweg aus, dass Moskau von sich aus einlenkt und sich aus der Ukraine zurückzieht, weil der Preis für das Verbleiben hoch ist. «Wladimir Putin ist absolut überzeugt, dass er bloss noch eine Weile durchhalten muss. Falls in den USA Donald Trump erneut Präsident werde, liesse Washington die Ukraine im Stich und Europas Rückhalt zerbrösle – davon geht er aus.»
Der Kreml habe zudem militärische Gründe zur Zuversicht: «Russland hatte einen besseren Sommer 2023 als die Ukraine. So sehr wir das bedauern mögen: Die russische Armee hat aus dem desaströsen Beginn ihrer Offensive gelernt. Russland weitete seine Rüstungsproduktion rasch aus. Es leidet – anders als die Ukraine – nicht an einer Knappheit an Soldaten. Es akzeptiert sehr viele Opfer in der eigenen Armee. Und die Führung ist zu allem entschlossen.»
Für Barrons steht fest: «Dieser Krieg muss auf ukrainischem Boden gewonnen werden.» Der Westen trage die Verantwortung dafür, dass das der Ukraine gelingt. Die Alternative, nämlich der Untergang der Ukraine, hätte katastrophale Folgen, weit über das Land hinaus. Denn dann müsste die Nato doch noch direkt eingreifen, weil die Kremlführung zu weiteren Eroberungsfeldzügen ermuntert wäre.
Zwar dürfte der Westen am Ende gegen Russland obsiegen. Bloss: Der Preis wäre enorm. Moskau verfüge über eine kaum in Mitleidenschaft gezogene Marine, Luftwaffe, über potente Atom- und Cyberstreitkräfte. Ein Krieg Russland gegen die Nato müsse unbedingt vermieden werden. Und zwar, indem die USA und Europa unverzüglich mehr täten. Bisher geschehe das viel zu zögerlich.