- Russland hat mit einer ersten Lesung der von Kremlchef Wladimir Putin im Parlament eingebrachten Vorschläge die grösste Verfassungsänderung seiner Geschichte angestossen.
- Mit grosser Mehrheit stimmten die Abgeordneten der Staatsduma – die vom Volk gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier – für Putins Entwurf.
- Er sieht unter anderem die grundgesetzliche Verankerung eines Staatsrates und die Reduzierung der Amtszeiten des Präsidenten auf zwei Perioden von jeweils sechs Jahren vor.
Insgesamt stehen bisher mehr als 40 Änderungen in 22 Artikeln des Gesetzes an. Zahlreiche andere Gesetze müssen geändert oder neu erlassen werden. Noch nie unterzogen die Abgeordneten das 1993 unter Präsident Boris Jelzin verabschiedete Grundgesetz einer solch einschneidenden Änderung.
Die ausserparlamentarische Opposition wirft Putin eine «Spezialoperation» im Eiltempo vor, mit der sich der Präsident dauerhaft in der ölreichen Rohstoffmacht das Amt sichern wolle. Kommentatoren der kremlkritischen Zeitung «Nowaja Gaseta» schrieben in dieser Woche, dass die Verfassung als Fundament des Staates zu «Hackfleisch» verarbeitet werde. Die Macht des Präsidenten werde weiter gestärkt.
Beobachter erwarten weitere Amtszeit
Die grosse Mehrheit der Experten geht davon aus, dass Putin sich mit der Verfassungsänderung über das Jahr 2024 die Macht sichern will. Dann endet seine laut aktueller Verfassung bisher mögliche letzte Amtszeit. Zwar sollen künftig nur noch zwei Amtszeiten erlaubt sein – bisher ist nach einem Aussetzen eine Rückkehr ins Amt möglich. Doch die meisten Beobachter erwarten, dass Putin nach einer Verfassungsänderung noch mindestens eine Amtszeit von sechs Jahren absolvieren könnte.
In der Staatsduma stimmten alle anwesenden 432 Abgeordneten für die Änderungen. Es gab keine Gegenstimme. Insgesamt gibt es 450 Abgeordnete. Für den 11. Februar ist die zweite Lesung geplant. Dann soll auch über Änderungsanträge von Abgeordneten beraten werden. Diese Lesung ist auch die entscheidende, die dritte und letzte gilt als technische Formalität.
Vorgesehen ist laut dem Entwurf auch eine Reduzierung der Zahl der Verfassungsrichter von 19 auf 11. Kritiker befürchten, dass durch die Änderungen insgesamt die Rolle der Gerichte in Russland weiter geschwächt und der Einfluss des Präsidenten auf die Richter gestärkt werde. Zudem soll erstmals festgeschrieben werden, dass Urteile internationaler Gerichte – wie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg – nicht mehr umgesetzt werden, wenn sie der russischen Verfassung widersprechen.
Parallel zum Parlament arbeitet auch eine Arbeitsgruppe mit 75 Vertretern der russischen Gesellschaft an Änderungsvorschlägen für die Verfassung. Darunter sind etwa Künstler, Sportler und Raumfahrer – nach Meinung von Beobachtern aber kaum juristisch versierte Experten, die sich im Verfassungsrecht auskennen.
Grosse Teile der russischen Gesellschaft wünschen sich einen Verbleib Putins an der Macht, weil sie damit politische Stabilität verbinden. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht.
Der Präsident hatte in der vergangenen Woche in seiner Rede an die Nation Veränderungen im Land angekündigt. Danach trat auch Medwedew als Regierungschef zurück. Neuer Ministerpräsident ist Michail Mischustin, der sein Kabinett in dieser Woche vorstellte. Er hat angekündigt, den Lebensstandard der Menschen in Russland und auch das Investitionsklima für mehr Unternehmertum zu verbessern.