Mit einer Eisentüre und einem Schäferhund versucht Zahi Jahshan sein Haus und seine Familie zu schützen. Er fühlt sich hier in Nazareth nicht mehr sicher. Letztes Jahr wurde sein Bruder Nizar erschossen. «Er ging nach einem Besuch bei uns in sein Stammlokal. Kurz darauf gab es dort eine Schiesserei – eine Kugel traf zufällig Nizars Kopf», erzählt Jahshan.
21 Tage lag Jahshans Bruder im Spital, bevor er seiner Verletzung erlag. Der Täter wurde bis heute nicht gefasst. «Hier finden sie den Täter nie, wenn Araber die Opfer sind», sagt der Familienvater. Für redliche Leute sei die Situation hier unerträglich. Seinen 15-jährigen Sohn lasse er nicht einmal alleine zur Bäckerei um die Ecke gehen. Aus Angst, ihm könne etwas passieren. Seine Tochter Haia hat sogar zuhause Angst.
Den Platz vor der griechisch-orthodoxen Kirche der Ankündigung meiden nachts viele Einwohner von Nazareth. «Wir wissen nie, wann jemand schiessen wird», erklärt Aktivist Tareq Shihada, der hier regelmässig Protestaktionen gegen die Gewalt veranstaltet. Kriminelle hätten vor der Kirche auch schon auf Gäste eines der Restaurants oder Cafés geschossen, das ihnen kein Schutzgeld bezahlen wolle.
Die meisten Opfer seien arabische Bürger und Bürgerinnen Israels. «Wenn ein Araber einen Juden tötet, hat die israelische Polizei den Täter zwei Stunden später gefasst. Warum fasst sie die Täter nie, wenn das Opfer arabisch ist?», fragt Shihada. Über die Mord-Aufklärungsrate streiten sich Aktivisten und die Polizei. Aber auch die Polizeistatistiken zeigen: bei weniger als der Hälfte der rund 70 Morde an arabischen Bürgern in diesem Jahr wurde der Täter gefasst.
Zig illegale Waffen
Die arabische Bevölkerung beklagt insbesondere die hohe Verbreitung von illegalen Waffen in ihren Gemeinden. Es könne nicht sein, dass der israelische Staat – weltweit für seine Überwachungstechnologie bekannt – dagegen machtlos sei, sagt Nabila Espanioly, Psychologin und Leiterin eines Frauenzentrums in Nazareth. Die Palästinenserin mit israelischem Bürgerrecht kämpft seit Jahrzehnten gegen Gewalt an Frauen – auch mit jüdischen Frauen zusammen.
Waseem Bader ist Sprecher der israelischen Polizei für die arabischen Medien. «Die israelische Polizei hat seit Anfang Jahr 3800 Waffen eingesammelt und über 3000 Verdächtige verhaftet», sagt er. Aber Israel habe nur 31'000 Polizisten und mehr Sicherheitsprobleme zu bewältigen als viele andere Länder. Zudem seien Ermittlungen in arabischen Quartieren oft schwierig.
Wenn der Tatort schon vor der Untersuchung gereinigt ist
«Die arabische Gesellschaft ist viel verschwiegener als die jüdische Gesellschaft», so Bader, der selbst der arabisch-sprachigen Religionsgemeinschaft der Drusen angehört. Oft würden arabische Opferfamilien den Tatort reinigen, bevor die Polizei ihn untersuchen könne. Das erschwere ihre Arbeit. «Wir appellieren deshalb an alle arabischen Bürger, mit uns zusammenzuarbeiten, um das Morden zu stoppen», sagt der Polizeisprecher.
Der Aktivist Shihada findet die Vorwürfe des Polizeisprechers eine Frechheit. «Die Leute in Tel Aviv kooperieren doch nicht besser mit der Polizei als unsere Gemeinschaft in Nazareth», sagt er. Das Misstrauen der israelisch-arabischen Bevölkerung gegenüber der Polizei ist gross. Die Demonstrationen gegen die Kriminalität haben die Politik allerdings aufgeschreckt – sie stockt die Polizeipräsenz in arabischen Quartieren auf.