Der Mann im Norwegerpullover wollte einfach nur nach Hause. Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck gönnte sich ein paar Tage Ferien auf der kleinen Nordseeinsel Hooge, nahm die Nachmittagsfähre. Dass am Schiffsanleger am Festland bis zu 300 Bauern auf ihn warteten, wusste er. Aber dass sie ihn angreifen, die Fähre stürmen wollten, wusste er nicht. Ein Schock.
Die Bauern mobilisierten sich am Donnerstagnachmittag über die sozialen Medien, verbreitet wurde auch die Falschmeldung, dass Robert Habeck «zu einem Bürgerdialog» eingeladen habe. Es gehe um die geplanten Kürzungen von Subventionen, welche die Bauern in Deutschland seit Wochen beschäftigen und auf die Strasse treiben.
Bauernverband distanziert sich
Unterdessen feiern rechtsextreme Kreise den Überfall auf den grünen Vizekanzler Habeck auf Telegram. Was den Schluss nahelegt, dass extreme Gruppen den Bauernprotest kapern wollen. Auch für die Bauern und ihr Image ist das brandgefährlich. Das wissen sie – der Präsident des Bauernverbandes hat sich entsprechend schnell vom Mob am Fähranleger distanziert.
Natürlich muss man sich als Politiker, als Politikerin, auch die kritischen Stimmen anhören. Als Kanzler Olaf Scholz am Donnerstag in den Überschwemmungsgebieten unterwegs war, gab es Buhrufe und geschriene Beleidigungen. Aber das war ein offizieller Termin, Personenschützer überall, höchste Sicherheitsstufe.
Habeck aber war privat unterwegs, hatte keine Termine, kehrte als Bürger aus den Ferien heim. Das ist ein Unterschied, der politisch relevant ist. In einer Demokratie werden Politikerinnen und Politiker als Entscheider angegriffen, als Funktionsträgerinnen. Und nicht als Menschen.
Politischer Angriff wird zum persönlichen Angriff
Aber genau das geschah am Donnerstagabend in der schleswig-holsteinischen Provinz. Und es ist nicht das erste Mal. In den letzten Monaten gab es immer wieder Aufmärsche wütender Demonstranten vor Privathäusern von Politikern. Der politische Angriff wird zum persönlichen Angriff.
Um ein Haar wäre die Situation gestern aus dem Ruder gelaufen. Der Reeder des Fährbetriebs sagt gegenüber dem «Spiegel», dass der Kapitän fluchtartig ablegen musste, um eine Erstürmung der Fähre zu verhindern. «Es war keine Minute zu spät, sonst wäre der Mob an Bord gewesen, mit nicht auszudenkenden Folgen.»
Der Vorfall ist auch für die Sicherheitskräfte ein Alptraum. Braucht es nun für jeden privaten Schritt von Ministerinnen und Ministern Heerscharen von Polizisten?
Weitere Proteste geplant
Gefordert sind auch die Bauern. Sie wollen in der nächsten Woche weiter demonstrieren, Strassen und Autobahnen lahmlegen. Diese Proteste werden nun wohl genau beobachtet, um eine Eskalation wie gestern zu verhindern.
Zum Schluss bleibt die Frage der Verhältnismässigkeit. Ein perfider Angriff auf den Vizekanzler, der privat unterwegs ist. Tagelange Traktor-Blockaden in vielen grossen Städten. Der Grund für das alles: Bauern müssen bis 2026 mehr für den Diesel bezahlen. Bisher wurde der sogenannte Agrardiesel mit etwas über 20 Cent pro Liter verbilligt. Das soll in den nächsten Jahren wegfallen. Im Schnitt macht das pro Betrieb und Jahr 3000 Euro aus. Klar, das ist nicht nichts.
Aber auch keine Rechtfertigung dafür, Politikern in den Ferien abzupassen und sie persönlich so zu bedrohen, dass sie die Flucht ergreifen müssen. Dass hier massiv Grenzen überschritten wurden, ist den politischen Playern in Deutschland vollkommen klar – entsprechend schnell kamen die klaren Statements von allen Seiten. Immerhin.