Vor einer Woche stürmten Anhänger von Jair Bolsonaro den Präsidentenpalast in Brasilia. Nun soll gegen den brasilianischen Ex-Präsidenten ermittelt werden. Geraldo Tadeu Moreira Monteiro, Professor für Juristische Soziologie in Rio de Janeiro, bewertet die Spuren, die vier Jahre Bolsonaro-Regierung bei der Polizei hinterlassen haben.
SRF News: Wie bewerten Sie den Sturm auf Brasilia am vergangenen Sonntag?
Geraldo Tadeu Moreira Monteiro: Es war eine orchestrierte Mobilisierung von Menschen aus ganz Brasilien, mit dem Ziel eines Staatsstreichs. Die Polizei des Bundesdistrikts hat vorsätzlich nicht gehandelt. Es dauerte zwei Stunden, bis sie am Ort des Geschehens eintraf. Also erst, nachdem die Regierung eine Intervention angeordnet hatte. Vier Jahre Bolsonaro-Regierung haben ihre Spuren hinterlassen. Es ist undenkbar, dass ABIN, der brasilianische Geheimdienst, die Bundespolizei und andere Nachrichtendienste nichts gewusst haben.
Was muss Präsident Luiz Inácio Lula da Silva jetzt tun?
Lula muss eine gut strukturierte Politik der Demokratisierung der Polizeikräfte verfolgen. Er sollte zunächst einen Dialog mit dem Militär und der Polizei aufnehmen, der es dann wiederum ermöglicht, diese Institutionen zu «entbolsonarisieren».
Was haben die Bolsonaro-Anhänger mit dem Sturm auf Brasilia erreicht?
Ziel war es, die Gebäude zu stürmen und eine Krise auszulösen, die zu einem Eingreifen der Streitkräfte führen würde. Das hat nicht funktioniert. Darüber hinaus ist die Bilanz für radikale Bolsonaro-Anhänger weitgehend negativ, weil die Geschehnisse eine in Brasilien noch nie dagewesene Welle der Solidarität mit der Demokratie ausgelöst haben, der sich alle 27 Gouverneure angeschlossen haben. Eine Umfrage zeigt auch, dass 93 Prozent der Brasilianer den Vandalismus verurteilen.
Was ist Ihre grösste Sorge?
Das Wichtigste ist es, die Drahtzieher des Angriffs auf den demokratischen Rechtsstaat zu ermitteln und diese Personen zu verhaften. Die Botschaft wäre dann: Die Demokratie weiss sich zu wehren.
Wie sehen Sie die Zukunft des Bolsonarismus?
Die jüngsten Geschehnisse werden zu einer Isolierung radikaler Bolsonaro-Anhänger führen. Populistische, autoritäre Bewegungen wachsen, wenn ihre Führer an der Macht sind. Als Ex-Präsident wird Bolsonaro in den Medien weniger vertreten sein. Die Gouverneure, die mit seiner Unterstützung gewählt wurden, müssen gute Beziehungen zur Regierung unterhalten.
Der harte Kern, die extreme Rechte, wird sicherlich weiter hinter Bolsonaro stehen.
Die gemässigteren Vertreter des Bolsonarismus werden sich in einem neuen, konservativen Pool zusammenfinden. Der harte Kern, die extreme Rechte, stellt in Brasilien zehn Prozent der Wählerschaft und wird sicherlich weiter hinter Bolsonaro stehen.
Wie steht Lulas Koalition zwei Wochen nach Amtsantritt da?
Eine Woche nach Amtsantritt wurde der demokratische Staat auf die Probe gestellt. Daraufhin hat sich eine grosse Allianz um die Figur von Präsident Lula gebildet und er hat klar die Führung übernommen. Das lässt ihn gut dastehen. Die Streitkräfte haben sich nicht auf das Abenteuer einer militärischen Intervention eingelassen. Die Gouverneure, die wichtigsten Institutionen und auch die Wirtschaftsverbände haben Erklärungen abgegeben, die die Demokratie stützen.
Wenn Lulas Regierung gute Ergebnisse erzielt, wird die Unzufriedenheit abnehmen.
Das ist politisches Kapital. Bleibt abzuwarten, wie Lula es einsetzen wird. Wenn seine Regierung bereits im ersten Jahr gute Ergebnisse erzielt, wird die Unzufriedenheit abnehmen und radikales Verhalten immer mehr in den Hintergrund treten.
Das Gespräch führte Karen Naundorf.