Nach dem Grossangriff der Hamas auf Israel ist der Gazastreifen komplett abgeriegelt. Auch der einzige nicht israelische Grenzübergang Rafah nach Ägypten wurde kürzlich geschlossen. Die Schliessung des schon in normalen Zeiten sehr restriktiv betriebenen Personenübergangs ist Kairo diesmal durch israelische Luftangriffe quasi aufgezwungen worden. Doch Rafah bereitet den Ägypterinnen und Ägyptern generell Sorgen, wie ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary erklärt.
SRF News: Welche Rolle spielt der Grenzübergang Rafah für den Gazastreifen?
Karim El-Gawhary: Der Grenzübergang Rafah ist der einzige Übergang zwischen Ägypten und dem Gazastreifen und damit dessen Lebensader zum Rest der arabischen Welt. Ganz besonders nach der Zerstörung des einzigen Flughafens in Gaza 2001 durch die Israeli, des Yassir Arafat International Airport. In Rafah hielt Kairo die Übertrittszahlen aber schon lange begrenzt. Oft nur Stunden oder Tage geöffnet, bedeutet es für ausreisewillige Palästinenser langwierige Kontrollen durch ägyptisches Sicherheitspersonal. Eine Reise zum Flughafen nach Kairo dauert so bis zu drei Tagen, trotz einer Fahrzeit von nur fünf Stunden.
Kairo stellt den Palästinensern zugleich hohe Kosten in Rechnung. Zudem durften Palästinenser aus dem Westjordanland den Übergang nicht benutzen. Israel verbot zugleich über Rafah Ausgereisten die Wiedereinreise über seinen Grenzübergang Erez nach Gaza. Oft war Rafah auch Wochen oder Monate zu, und Palästinenser konnten nicht nach Gaza zurück. Jetzt gibt es für sie gar keinen Ort mehr, an den sie vor den israelischen Bombardements fliehen könnten.
Was bringt die Schliessung von Rafah Ägypten?
Der Grenzübergang Rafah wird von Ägypten immer mal wieder geöffnet oder geschlossen – diesmal, weil er vor zwei Tagen von der israelischen Luftwaffe auf palästinensischer Seite bombardiert worden ist. Ob und wann er wieder aufgeht, ist unklar. Denn die Regierung in Kairo befürchtet auch, dass Israel einen Teil des Gaza-Problems an Ägypten abschieben könnte. Ein Szenario ist die Vertreibung der Bevölkerung aus dem Gazastreifen, damit sie sich im ägyptischen Nordsinai ansiedelt. Etwa, wenn Israel bei einer allfälligen Bodenoffensive einen Teil des nördlichen Gazastreifens zur grossen Pufferzone erklären und der ohnehin überfüllte Gazastreifen noch enger würde. All das sind Ängste und natürlich Spekulation.
Laut dem UNO-Nothilfebüro haben über 90 Prozent der Treibstofflieferungen den Gazastreifen über Ägypten erreicht. Welche Rolle spielte Rafah?
Rafah ist ein reiner Personenübergang mit ganz kleinen Hilfslieferungen und Krankentransporten. Güter aus Ägypten kommen ausschliesslich über den Grenzübergang Karem Abu Salam, der genau an der Stelle liegt, wo die Grenze zwischen Ägypten, Gaza und Israel zusammentrifft. Über diesen Weg kommen auch die UNO-Hilfslieferungen. Die Einfuhr hat Israel stark eingeschränkt. Alles, was die Hamas für militärische Zwecke nutzen könnte, ist seit 2007 verboten, auch Baumaterial.
Mit der jetzigen Totalblockade setzt Israel auch Ägypten unter Druck. Denn laut der dortigen öffentlichen Meinung dürfte Kairo eigentlich nicht untätig zusehen, wenn der Gazastreifen ausgehungert wird. Es bleibt somit die Frage, ob Rafah dann eben doch für Waren geöffnet wird, obwohl die Kapazitäten für Warenverkehr im grossen Stil fehlen.