Montagmorgen in Jerusalem. Aus dem Autoradio fragt ein Moderator: «Wie lange wird es dauern, bis wir die Terroristen stoppen?» Kaum ein Auto ist auf den Strassen zu sehen, die Autobahnen nach Süden – leer. Nach einer knappen Stunde Fahrt halten wir an einer geschlossenen Autobahnraststätte.
Eine hagere Frau mit farbigem Blumen-T-Shirt tankt Benzin. Ihr Gesicht ist gezeichnet vom Grauen der letzten zwei Tage. «Schwierig, sehr schwierig – so haben wir uns noch nie gefühlt,» sagt Orna. Sie habe wochenlang bei den Anti-Regierungsprotesten mitgemacht. Dafür habe man ihresgleichen als Landesverräter beschimpft.
Das ist Terror. Und die Welt versteht das nicht.
Nun, in der Stunde der Not, seien sie überall die ersten an der Front – während die Regierung versagt habe. «Mein Freund bringt Menschen aus einem Kibbuz, das sie attackiert haben, mit seinem Auto in Sicherheit.»
«Sie laufen herum und töten wahllos Menschen.» Orna stockt. Ihr kommen die Tränen. «Die Tochter meiner Nachbarn war an dem Festival, wo das Massaker war – nun wird sie vermisst. Das ist Terror. Und die Welt versteht das nicht.»
«Alles wird sich verändern. Nach diesem Trauma können wir nicht so weitermachen wie bisher. Es ist ein Alptraum.»
Sie hätten keinen Respekt vor dem Leben, sagt Orna. Unter unseren Füssen bebt die Erde. «Wir bombardieren gerade den Gazastreifen, aber unsere Armee warnt die Zivilbevölkerung dort, sie sollen ihre Häuser verlassen. Wir wollen nicht Unschuldige töten – sondern die Terroristen.»
Eltern suchen nach ihren Kindern
Aus dem Autoradio, auf einem israelisch-arabischen Sender, berichtet der Reporter, dass Israel ohne Vorwarnung eine Moschee bombardiert und dabei Kinder getötet habe. In der Moschee hätten sich Hamas-Terroristen versteckt, berichten hebräische Sender.
Einige Kilometer nach der Tankstelle, auf einem Rastplatz in der Nähe von Sderot, stehen und sitzen ein paar Männer in grünen Uniformen. Der älteste unter ihnen heisst Ofer. Er kämpft mit den Tränen. «Wir suchen meinen Sohn», sagt er.
Der 35-Jährige sei am Samstag am Festival gewesen, an dem die Terroristen 260 Menschen massakrierten. «Aufgrund seines letzten Anrufs wissen wir, dass er davongerannt ist. Im Spital ist er nicht, auf der Liste der Todesopfer auch nicht. Also durchsuchen wir die Felder.»
Bei der Suche helfen Ofer ein paar Freunde seines Sohnes. Einer von ihnen sagt: «Wir haben unseren Armee-Einheiten gesagt: Wir werden unseren Bruder zurückbringen. Wir müssen ihn suchen. Wir haben keine andere Wahl.»
Araber pauschal unter Terrorismusverdacht
In der Beduinenstadt Rafah in der Negev-Wüste, nur 13 Kilometer vom Gazastreifen entfernt, sind die Bombeneinschläge in Gaza deutlich hör- und spürbar.
In dieser Stadt mit rund 70'000 muslimischen Einwohnern hat der Staat nie einen Luftschutzkeller bauen lassen. Regelmässig werden Menschen von den Raketen der Hamas aus Gaza verletzt oder getötet.
Hier gibt es keine Demokratie. Ständig verhaften oder töten sie uns, zerstören unsere Häuser.
Ein paar junge Männer im Café mit dem besten Ausblick Richtung Gaza lassen sich knapp zu einem Interview überzeugen. Sie stehen unter Schock ob der Ereignisse der letzten Tage. «Ich kann nicht fassen, was alles Schreckliches passiert ist – wer kann mir das erklären?»
Mehr getraut er sich nicht zu sagen. Ein anderer erklärt ihre Angst damit, dass sie als Araber pauschal unter Terrorismusverdacht stünden.
«Hier gibt es keine Demokratie. Ständig verhaften oder töten sie uns, zerstören unsere Häuser. Und wir haben keinen Luftschutzkeller! Was sollen wir machen: ein Loch im Boden graben, um uns vor den Raketen zu schützen? Die Situation ist sehr schwierig hier.»
Mobilisierung überall sichtbar
Auf dem Rückweg nach Jerusalem sind die Strassen plötzlich voll. Kolonnenweise kommen uns Sattelschlepper mit Panzern, Armeefahrzeugen und Munition entgegen, und Busse voller Reservesoldatinnen und -soldaten.
Vor einem Einkaufszentrum laden Nethanel und Nicole, beide Mitte 20, Schachteln aus ihrem Auto. «Wir bringen Vorräte für die Soldaten – wir halten es nicht aus, tatenlos daheim zu sitzen,» sagt Nicole. Sie wartet ungeduldig auf ihr Aufgebot von der Armee.
Auch Nethanel wartet auf sein Aufgebot. «Wir müssen den Terror in Gaza eliminieren. So etwas darf nie wieder passieren.»
Zurück in Jerusalem, geht der Bombenalarm los. Die Hamas hat einen Schwall von Raketen auf die Stadt gefeuert. Israels Raketenabwehrsystem Iron Dome schiesst sie ab. Die Worte von Orna an der Tankstelle klingen nach.