Dass die Türkei letzte Woche eine Kehrtwende vollzog und sich nun am Kampf gegen die Terrormiliz «Islamischer Staat» beteiligt, galt in den USA als grosse Errungenschaft.
Kurz darauf wich die Freude der Konsternierung: Die Türkei bombardierte nicht nur Stellungen des IS, sondern auch die Kurden – doch sie sind im Kampf gegen die IS-Terroristen die Verbündeten der USA. Ein heikler Fall also für die Diplomatie.
Washington äussert sich nicht
In Washington herrscht denn auch weitgehend Stille, wenn es um die türkischen Luftschläge gegen die Kurden geht. Ebenso sind keine Details über das Abkommen bekannt geworden, welches die USA letzte Woche mit der Türkei besiegelt hatten.
Immerhin: James Jeffrey kann sich den Inhalt in etwa zusammenreimen. Er war in der ersten Amtszeit Barack Obamas US-Botschafter in Ankara, dann in Bagdad. Jetzt arbeitet er für den Thinktank Washington Institute für Politik im Nahen Osten.
Es erstaunt ihn nicht, dass die Reaktion der USA auf die Bombardements der Kurden dünnlippig ausfällt: «Wir akzeptieren das von den Türken, weil wir lange verlangt haben, dass uns die Türken erlauben, Luftwaffenbasen wie Incirlik in der Türkei zu nutzen, um Angriffe auf den IS durchzuführen. Das haben wir bekommen.»
Geben und Nehmen
Ausserdem habe die Türkei endlich entschieden, die Routen zu schliessen, über die Kämpfer und Waffen über die türkische Grenze nach Syrien zum IS gelangten. Das seien zwei gewichtige Errungenschaften für die USA. Dafür musste Washington auch etwas anbieten. Zum Beispiel wegschauen, wenn die Türkei die Kurden bombardiert.
Oder eine Sicherheitszone, welche die USA im Norden Syriens nun einrichten. Das forderte die Türkei seit längerem – damit syrische Flüchtlinge zurückkehren können und damit die Truppen ihres Erzfeindes, des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, zurückgedrängt werden.
«Das ist ein Entgegenkommen unsererseits den Türken gegenüber», erklärt Jeffrey. Die Türkei habe immer von den USA verlangt, aktiver gegen Assad vorzugehen. «Das machen wir jetzt ein bisschen.» Dennoch stellt sich die Frage, weshalb es so lange gedauert hat, bis die USA die Türkei dazu bringen konnten, gegen den gemeinsamen Feind, den IS, vorzugehen.
«Erdogan ist kein vernünftiger Denker»
«Erdogan – ich kenne ihn gut – ist kein vernünftiger aussenpolitischer Denker», wird der frühere US-Diplomat Jeffrey deutlich. Der türkische Präsident denke mit dem Bauch. Dabei habe er drei Feinde südlich der türkischen Grenze in Syrien: «Erstens – und am wichtigsten – die Assad-Regierung, zweitens den Islamischen Staat und drittens die Kurden, die mit der PKK verbunden sind.» Deswegen sei es dem türkischen Präsidenten so schwer gefallen, eine Entscheidung zu treffen.
Laut Jeffrey haben Telefonate mit US-Präsident Obama, Vizepräsident Joe Biden sowie der Besuch des US-Generals John Allen Erdogan zum Umdenken bewegt. Ebenso der Terroranschlag in Suruç an der türkischen Grenze, der 32 Menschenleben forderte.
Wer kämpft für die USA am Boden?
Es sei ein wichtiger Schritt, dass die Türkei in den Kampf gegen die Terroristen einsteige, sagt Jeffrey weiter. Doch dies werde nicht ausreichen. Die USA müssten einen Alliierten finden, der Bodentruppen schicke, so lange sie nicht selber dazu bereit seien.
Die Kurden sind solche Partner, verteidigen aber nur ihr Gebiet. Ausserhalb davon werden sie nicht kämpfen. Und die US-Armee hat in Syrien erst 60 gemässigte Rebellen gefunden, die sie als verlässlich erachten und militärisch ausgebildet haben. Doch ohne Bodentruppen werde es schwierig sein den IS zu vernichten, ist Ex-Botschafter Jeffrey überzeugt. Und dies sei nach wie vor das offizielle Ziel der USA.