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Angriffe auf Radaranlagen Ukraine zielt auf die «Augen» Russlands

Das ukrainische Militär hat vergangenen Monat Dutzende Radaranlagen der Russen zerstört. Was das für die Front bedeutet.

Die ukrainischen Streitkräfte haben in den letzten Tagen die Front stabilisieren können, aber nicht nur. Immer wieder können die Ukrainer den Russen Nadelstiche versetzen.

Was auffällt: Die jüngsten Nadelstiche richteten sich gegen die «Augen» Russlands: Radaranlagen und die damit verbundenen Einrichtungen der Flugabwehr. Zuerst hat die «NZZ» darüber berichtet.

Auch ein Radarkomplex der Russen wurde offenbar zerstört, wie unter anderem der Journalist Mark Krutov vom US-finanzierten Radio Free Europe berichtete. Auf seinem Post sind Spuren eines Grossbrandes zu sehen, genau dort, wo das teure und schwer ersetzbare Radar zuvor gestanden hat.

Die Absicht der Ukraine

Mindestens ein Dutzend bedeutsame Angriffe auf russische Radaranlagen hat es der «NZZ» zufolge seit dem 20. April gegeben, die Hälfte davon innerhalb der vergangenen Woche. Zwar seien nicht alle Angriffe erfolgreich gewesen, aber insgesamt habe Russland schwere Verluste erlitten.

Mauro Gilli ist Experte für Militärtechnologie und internationale Sicherheit beim Zentrum für Sicherheitsstudien an der ETH Zürich. Er bestätigt, dass es derzeit vermehrt ukrainische Angriffe auf Radarsysteme der Russen gegeben habe. Einerseits auf grössere, stationäre Radaranlagen, andererseits auf kleinere, mobilere Langstreckenradare, die meist im modernen russischen Luftabwehrsystem S-400 verbaut sind.

Ukrainische Drohne trifft russisches Atomraketen-Frühwarnsystem

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Feuerwehrmann bekämpft Grossbrand mit Kran.
Legende: Archivbild: Feuerwehrleute arbeiten daran, das Feuer zu löschen, nachdem Berichte über eine Explosion in einem Treibstofflager in Woronesch, Russland, etwa 460 Kilometer (285 Meilen) südlich von Moskau, am Samstag, 24. Juni 2023, eingegangen sind. Archivbild/Andrey Arxipov via AP

Bei einem ukrainischen Drohnenangriff vor rund einer Woche soll nach inoffiziellen Berichten ein Radar des russischen Frühwarnsystems gegen anfliegende Atomraketen beschädigt worden sein. Fotos von Schäden an der Anlage nahe der Stadt Armawir in Südrussland seien in russischen und ukrainischen Kanälen aufgetaucht, schrieb das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) später in seinem Lagebericht . Von Moskauer Seite äusserte sich der ehemalige russische Ex-Nato-Botschafter Dmitri Rogosin. Auf X warnte er, mit solchen Angriffen rücke die Welt näher an den Abgrund eines Atomkriegs.

Ein ukrainischer Beamter, der mit der Angelegenheit vertraut ist, behauptete vergangene Woche gegenüber der Nachrichtenagentur Ansa, dass Russland Radaranlagen benutze, um die Aktivitäten der ukrainischen Armee zu überwachen, insbesondere den Einsatz von Drohnen und Raketen durch Kiew aus der Luft. Der Beamte bestätigte, dass der ukrainische Militärgeheimdienst GUR für die Angriffe verantwortlich sei.

Wie der Atomwaffenexperte Pavel Podvig vom UNO-Institut für Abrüstungsforschung jüngst gegenüber dem deutschen «Spiegel» erklärte, hat die Station in Armawir auf Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine jedoch kaum eine Bedeutung. Es sei schwierig, das Radar zur Erkennung ukrainischer Drohnen oder Flugzeuge zu verwenden. Auch für die Aufklärung ballistischer Raketen habe das Radar nur einen begrenzten Nutzen über Teilen der Südukraine.

Bei grösseren Radaranlagen werden laut dem Militärexperten mehrere Ziele verfolgt: «Zum Beispiel, um zu zeigen, dass Russland nicht mit Atomwaffen zurückschlagen wird, um Russland zu zwingen, seine Luftverteidigungsanlagen von der Front weg zu verlegen und Russland seine Verwundbarkeit zu zeigen.»

Beim Abschuss kleinerer Systeme solle die russische Luftabwehr geschwächt werden; das Ziel sei es, sie zu erblinden, um die Wirksamkeit weiterer Angriffe zu erhöhen. Dies, so Gilli, habe «sehr wohl Auswirkungen auf die Front».

Vorbereitung auf F-16-Lieferung?

Doch ist es möglich, dass die Ukrainer sich mit den Attacken auf die russischen Radaranlagen auf die baldige Lieferung von Kampfjets aus dem Westen vorbereiten? Schliesslich wurden der Ukraine insgesamt 95 Kampfflugzeuge des Typs F-16 zugesagt. Die ersten sollen schon bald eintreffen.

Ukrainische Medien gehen genau davon aus, wie SRF-Ukraine-Korrespondentin Judith Huber sagt. Ein Ziel der Schläge gegen die russischen Radarsysteme bestehe darin, die Fähigkeit der russischen Truppen zu vermindern, die von den Ukrainern sehnsüchtig erwarteten F-16-Kampfflugzeuge zu erfassen und auf die Anlagen zu feuern. Deshalb sind die wichtigsten Ziele der Ukrainer gemäss einem Artikel der «Kyiv Post» zurzeit die grossen russischen Luftabwehrsysteme und zugleich die Techniker, die sie bedienen. 

Mehr Angriffe auf Radaranlagen?

Gemäss dem Bericht der «NZZ» erfolgten alle Angriffe auf russische Radaranlagen in den besetzten Gebieten mit westlichen Waffen, mit Streumunition bestückten Atacms-Raketen oder britisch-französischen Storm-Shadow-Marschflugkörpern.

Seit Kurzem darf die Ukraine auf russischem Gebiet nun auch amerikanische Atacms – bislang nur im Raum Charkiw – und deutsche Panzerhaubitzen 2000 sowie Raketenwerfer vom Typ Mars II gegen Flugabwehr- und Radaranlagen einsetzen. Ob die Nadelstiche der Ukrainer weitergehen oder sich nach den Entscheidungen aus Washington und Berlin sogar ausweiten, wird in den kommenden Wochen zu beobachten sein.

10vor10, 31.05.2024, 21:50 Uhr;kesm

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