Zum ersten Mal seit zwölf Jahren hat mit Yoon Suk-yeol ein südkoreanischer Präsident Japan einen offiziellen Besuch abgestattet. Es ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Beziehungen der beiden Länder, nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern auch aus geopolitischer Sicht.
Japan und Südkorea sind beide Bündnispartner der USA. Eine stärkere und entschlossenere Zusammenarbeit der USA, Japans und Südkoreas würde in der Region ein deutlicheres Zeichen Richtung den Machthabern in Pjöngjang und Peking setzen. Doch zwischen Südkorea und Japan kommt es seit Jahrzehnten zu Differenzen und Unstimmigkeiten. Diese beruhen auf unterschiedlichen geschichtlichen Auffassungen und einem Problem bei der Vergangenheitsbewältigung.
Schwierige Vergangenheit
Japan hatte von 1910 bis 1945 Korea besetzt. In der Zeit des japanischen Kolonialismus kam es zu Zwangsarbeit und sexueller Ausbeutung. Japans Regierung möchte diese Schattenseiten der eigenen Geschichte gerne vergessen. So spricht beispielsweise Japan noch heute statt von sexueller Ausbeutung koreanischer Frauen durch japanische Besatzer beschönigend von «Trostfrauen».
In Südkorea fordern jedoch viele Opfer und Hinterbliebene der Zwangsarbeitenden seit Jahrzehnten lautstark finanzielle Entschädigungen und eine klare Entschuldigung seitens Japans. 2018 hiess das höchste südkoreanische Gericht Klagen koreanischer Zwangsarbeiter gegen japanische Firmen gut und verurteilte diese zu Kompensationszahlungen. Dies führte zu einer tiefen Krise zwischen den beiden Ländern.
Für die Regierung in Tokio sind sämtliche historischen Streitigkeiten und Ansprüche auf Wiedergutmachung in den Verträgen von 1965 zwischen den beiden Ländern bereinigt worden. Japans Regierung beharrt auf den Verträgen und forderte Seoul auf, sich an diese zu halten und eine Lösung im Streit zu finden. Letzte Woche präsentierte Seoul eine Lösung bei der Entschädigung der Zwangsarbeiter. Statt durch die Firmen direkt, sollen die Arbeiter über einen öffentlichen Fonds entschädigt werden. Diese Lösung wird von Japan begrüsst, und so ist es zum heutigen Besuch des südkoreanischen Präsidenten Yoon in Tokio gekommen.
Alte Denkmuster
Die geschichtliche Auffassung und die herrschenden Denkweisen sind in der Gesellschaft der beiden Länder stark verankert und zeigen sich auch in den Geschichtsbüchern. Sowohl Japans als auch Südkoreas Schulbücher sind staatlich kontrolliert. Die eigene Geschichte wird darin oft beschönigend dargestellt. Doch für die Aufarbeitung der Geschichte sind kritische Auseinandersetzungen – auch mit der eigenen Vergangenheit – gefordert. Das Verschweigen oder Beschönigen von Gräueltaten trägt nicht zur Aufarbeitung und Versöhnung bei.
In diesem Bereich ist vor allem Japan gefordert. Südkorea seinerseits sollte Bedingungen schaffen, welche bestehende und künftige Verträge klar und zuverlässig regeln. Für beide Seiten gilt, aufeinander zuzugehen, statt auf den eigenen Standpunkten zu verharren. Entschuldigungen müssen klar ausgesprochen und von der Gegenseite sowohl politisch als auch gesellschaftlich akzeptiert werden. Erst dann kann ein Schlussstrich gezogen werden und ein neues Kapitel beginnen.
Nebst den Differenzen um die Entschädigung südkoreanischer Zwangsarbeiter müssen die beiden Länder auch die territorialen Streitigkeiten rund um die Inselgruppe im japanischen Meer beilegen. Auf dem Weg zur engeren Zusammenarbeit zwischen Japan und Korea bleibt noch einiges zu tun.