Die Coronavirus-Variante «Delta» ist eine Mutation, die zuerst in Indien entdeckt worden ist. Wieso kann sich diese Variante besonders in Ländern schnell verbreiten, wo immer mehr Menschen geimpft sind? Der Biophysiker Richard Neher erklärt die Hintergründe.
SRF News: Wie angeschlagen ist das Coronavirus nach 15 Monaten Pandemie?
Richard Neher: Angeschlagen ist das Virus nicht, es verbreitet sich erfolgreich weiter – vor allem in Ländern des globalen Südens, also in Südasien, Afrika und Südamerika. Wir im Norden profitieren von der Impf-Offensive.
War damit zu rechnen, dass immer neue Virus-Varianten entstehen?
Dass das Virus mutiert, ist sicherlich etwas, das wir von vornherein erwartet und verfolgt haben. Seit dem Winter haben wir besorgniserregende Varianten beobachtet, die auf einen Schlag eine ganze Reihe von Mutationen aufweisen.
Der Impfschutz scheint gegen alle diese Virusvarianten robust zu sein.
Diese Gruppen an Mutationen erlauben es dem Virus, teilweise der existierenden Immunantwort auszuweichen und oder infektiöser zu werden. Das hat den Lauf der Pandemie verändert.
Wie gut schützen die aktuellen Impfstoffe gegen diese Mutationen?
Heute sieht es so aus, als würden die in der Schweiz zugelassenen mRNA-Impfstoffe zuverlässig gegen diese Varianten schützen. Das heisst, dass die Erkennung von Antikörpern dieser Viren durchaus etwas geschwächt ist. Aber der Impfschutz scheint robust zu sein, auch gegen alle Varianten.
Die Delta-Variante sorgt in Portugal und Grossbritannien für steigende Fallzahlen, obwohl immer mehr Menschen geimpft sind. Wie ist das möglich?
In Grossbritannien wurden im März und April viele Infektionen mit der Delta-Variante eingeschleppt. Diese Einschleppungen passierten hauptsächlich in dem Teil der Bevölkerung, der nicht oder nur einmal geimpft war. Gekoppelt mit den Lockerungen der Massnahmen hat das den Boden bereitet, damit sich diese sehr ansteckende Variante rasant ausbreiten konnte.
Könnte die Delta-Variante auch in der Schweiz zu einem Problem werden?
Im Moment ist die Delta-Variante in der Schweiz noch eine Minderheit, aber ihr Anteil nimmt zu. Vor dem Hintergrund der insgesamt sinkenden Fallzahlen ist das im Moment kein Grund zur Besorgnis. Aber wenn sich dieser Trend fortsetzt, müssen wir damit rechnen, dass die Delta-Variante gegen Ende Sommer dominieren wird. Dann muss man sehen, dass man mit Impfungen und vorsichtigem Verhalten die Ausbreitung verhindern kann.
Wenn sich dieser Trend fortsetzt, müssen wir damit rechnen, dass die Delta-Variante gegen Ende des Sommers dominieren wird.
Das heisst, wenn man sich zweimal impft, sollte Delta keine Chance haben.
Das ist zumindest die Hoffnung. Wenn ein genügend grosser Teil der Bevölkerung zweimal geimpft ist, kann das die Ausbreitung von Delta und anderen Varianten deutlich verlangsamen.
Bei immer mehr Geimpften: Wie könnte sich das Virus entwickeln?
Wir müssen davon ausgehen, dass sich das Virus weiterhin so verändert, dass es künftig auch Personen mit existierender Immunität wieder infizieren kann. Das führt vermutlich nicht im gleichen Masse zu schweren Verläufen, ermöglicht aber doch die Übertragung des Virus. Wir kennen das von Grippeviren, die sich stetig verändern und alle paar Jahre wieder Infektionen möglich machen.
Viren können aber auch einfach wieder verschwinden. Wir haben zum Beispiel das Sars1-Virus, das wir wieder losgeworden sind. Das passiert entweder durch rigide Kontrollmassnahmen oder durch konkurrierende Viren, die eine bestimmte Viruslinie zum Aussterben bringen.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.