Zum Inhalt springen

Antisemitismus in den USA «Rassisten fühlen sich von Trump gestützt»

Der US-Journalist Jonathan Weisman will den US-Präsidenten nicht als Rassisten brandmarken. Doch sein Schweigen ermuntere Extremisten.

«Alle Juden müssen sterben!»: Anfang Oktober stürmt ein Antisemit eine Synagoge in der US-Metropole Pittsburgh. Dem Schrei folgt eine verstörende Bluttat: Der 46-jährige Extremist tötet 11 Menschen. Der US-Journalist Jonathan Weisman hat ein viel beachtetes Buch veröffentlicht: «Being Jewish in America in the Age of Trump». Er ist alarmiert über die ambivalente Rhetorik aus dem Weissen Haus: Damit bestätige der US-Präsident rechte Extremisten.

Jonathan Weisman

Journalist und Autor

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Jonathan Weisman ist Journalist der «New York Times» und Autor des Buches: «Being Jewish in America in the Age of Trump» («Das Leben als Jude in Amerika in Zeiten von Trump»).

SRF News: Antisemitische Vorfälle haben in den USA generell zugenommen. So kam es laut der Anti-Diffamierungs-Liga 2017 zu 57 Prozent mehr antisemitischen Vorfällen als im Jahr zuvor. Ist das eine neue Entwicklung oder sind die Menschen mehr auf diese Thematik sensibilisiert?

Jonathan Weisman: Ein bisschen von beidem. Ich glaube aber, dass Fanatismus und Hassverbrechen generell zugenommen haben. Wir leben in einer Zeit, in der es offenbar akzeptiert wird, wenn solche Straftaten toleriert werden.

Sie sind selber Jude. Spüren Sie den zunehmenden Antisemitismus im täglichen Leben?

Ich spüre ihn nicht unbedingt im Alltag. Es gibt aber Momente geballter Angriffe auf mich, die ich vorher nicht gekannt hatte. Es begann während des Wahlkampfes für die Präsidentschaftswahlen 2016.

Ich sage nicht, dass Präsident Trump ein Rassist ist. Aber die Rassisten glauben, dass er ein Rassist ist.

Die rechtsradikale Alt-Right-Bewegung griff mich und andere jüdische Journalisten an. Das hat seitdem nicht mehr aufgehört. Manchmal ist es stärker, manchmal schwächer.

Weisse Nationalisten vor dem Lincoln Memorial
Legende: Seit den Präsidentschaftswahlen 2016 im Aufwind: Laut dem US-Journalisten fühlen sich weisse Nationalisten durch Donald Trump in ihrem Kampf um Vorherrschaft beflügelt. Reuters

Wie sehen diese Angriffe gegen Sie denn aus?

Das Meiste passiert in den sozialen Medien oder per E-Mail. Auf Twitter oder Facebook wird mir mit Holocaust-Bildern und ähnlichem gedroht. Gelegentlich bekomme ich Nachrichten auf meiner Combox oder dem Anrufbeantworter.

Wie erklären Sie sich diesen Anstieg des Antisemitismus in den USA?

Die Bewegung der weissen Nationalisten formierte sich am Ende der Präsidentschaft von George W. Bush. Unter Barack Obama, dem ersten farbigen Präsidenten, wurde sie stärker. Richtig Fahrt nahm sie aber 2016 auf. Ich sage nicht, dass Präsident Trump ein Rassist ist. Aber die Rassisten glauben, dass er ein Rassist ist. Sie fühlen sich von ihm gestützt. Trump prangert ihr Verhalten nicht an. So denken sie, dass ihre Zeit nun gekommen ist. Sie werden aggressiver, weil niemand sie daran hindert.

Präsident Trump ist auch ein grosser Freund Israels, sein Schwiegersohn ist jüdisch, seine Tochter konvertierte, seine Enkel sind also auch jüdisch. Trotzdem diese Zurückhaltung, wenn es darum geht, Antisemitismus oder Rassismus generell klar zu verurteilen. Wie erklären Sie sich dieses paradoxe Verhalten?

Zuerst einmal: Ein Freund von Israel zu sein, heisst nicht automatisch, ein Freund der Juden zu sein. Trump hat sehr viele Gründe, ein Freund der israelischen Regierung zu sein. Sie ist schliesslich eine konservative Verbündete in Nahost. Die geopolitischen Gründe für diese Verbindung liegen auf der Hand.

Die amerikanischen Juden müssen sich bewusst werden, dass Fremdenhass und Fanatismus ein Problem für viele Minderheiten ist.

Das macht aus Trump aber noch lange keinen Verfechter von Minderheiten wie der Juden in den USA. Ivanka Trump, seine Tochter, ist zum Judentum konvertiert und ihr Mann ist sehr religiös. Das hat Trump trotzdem nicht dazu bewogen, sich deutlich gegen den weissen Nationalismus auszusprechen.

Trump vor den Medien in New York
Legende: Ein Beispiel der ambivalenten Rhetorik: «Beide Seiten sind schuld» – so machte Trump nach dem Nazi-Aufmarsch in Charlottesville auch Gegendemonstranten für die Gewalteskalation verantwortlich. Reuters

Viele Juden flohen einst vor dem Judenhass von Europa in die Vereinigten Staaten. Nun sehen sie, wie auch dort der Antisemitismus stärker wird. Wie reagiert die jüdische Gemeinschaft auf diese Entwicklung?

Die amerikanischen Juden sind sehr gespalten. Die meisten sind besorgt über diese Scheinheiligkeit der Trump-Regierung beim Thema Fremdenhass. Sie sehen, dass es nicht nur gegen Juden geht. Vielen Migranten in den USA geht es ja in der Hinsicht noch viel schlechter als den Juden – auch vielen Afro-Amerikanern. Es gibt hier eine Solidarität.

Fremdenhass hat nichts damit zu tun, ob man Demokraten oder Republikaner wählt. Es geht darum, dass die amerikanischen Werte angegriffen werden.

Aber: Es gibt auch einen Teil der Juden in den USA, der Pro-Israel ist und sich stark mit der offiziellen israelischen Regierung identifiziert. Ihnen gefällt, was sie von Donald Trump sehen. Sie wollen nichts von einem Zusammenhang zwischen dem Anstieg des Judenhasses und der Regierungspolitik aus dem Weissen Haus wissen. Denn Trump macht in Sachen Israel genau, was sie wollen. Da gibt es also einen Graben.

Was kann man tun, um diesen Geist zurück in die Flasche zu bringen?

Das wird sehr schwierig. Man kann nur hoffen, dass solche Dinge einmal stärker und dann wieder schwächer sind. Die amerikanischen Juden müssen sich bewusst werden, dass Fremdenhass und Fanatismus ein Problem für viele Minderheiten sind. Es hat nichts damit zu tun, ob man Demokraten oder Republikaner wählt, ob man konservativ oder liberal ist. Es geht darum, dass die amerikanischen Werte angegriffen werden. Man muss sich dagegenstellen.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Meistgelesene Artikel