«Ich habe viel gelernt», sagt Emmanuel Macron gestern bescheiden, nach fünf Monaten Gelbwesten-Protesten, nach drei Monaten nationaler Debatten, während der er durchs Land tingelte. Unumwunden gibt der französische Staatspräsident zu, dass er beispielsweise dachte, dass ein paar Euro weniger Rente den Betroffenen doch nicht weh täten. Bis diese Rentner ihm sagten, dass sie auch noch Kinder oder eigene Eltern damit über Wasser halten.
Macron entdeckte tote Winkel und Verwerfungen in der französischen Gesellschaft, die ihm anscheinend bis anhin fremd waren. «Ich habe mich gefragt, ob wir alles stoppen sollen, was wir vor zwei Jahren angefangen haben. Ob wir in die falsche Richtung gegangen sind», äusserte der Präsident seine Selbstzweifel. Doch er glaube, das Gegenteil sei der Fall.
Mehr Menschlichkeit und Herz
Das Gefühl von territorialer, sozialer und steuerlicher Ungerechtigkeit, das will Macron gespürt haben. Er ortet mangelnde Wertschätzung, fehlenden Respekt durch die Institutionen, überhaupt im Alltag. Und er will wieder mehr Menschlichkeit und Herz in die Verwaltung bringen.
Einige von Macrons präsidialen Projekte waren aus der vor einer Woche aufgezeichneten, aber wegen des Grossbrandes nicht ausgestrahlten TV-Ansprache, an die Presse durchgesickert. Wie erwartet versprach der französische Präsident
- eine deutliche Senkung der Einkommenssteuern
- Mindestrenten von 1000 Euro, Teuerungsausgleich für Renten unter 2000 Euro
- Dezentralisierung, mit entsprechender Übertragung von Verantwortung und finanziellen Mitteln
- Hilfen für alleinerziehende Mütter, wenn Väter Alimente nicht zahlen
- keine Schliessung von Spitälern und Schulen bis Ende Amtszeit
- eine Vereinfachung des parlamentarischen Referendumsrechts
Kein Referendumsrecht à la Suisse
Eine der Hauptforderungen der Gilets Jaunes ist die Einführung eines RIC (référendum d'initiative citoyenne), ein Referendumsrecht nach Schweizer Vorbild. Dieses lehnt Macron ab, es stelle die repräsentative Demokratie in Frage. Doch will er die Hürden für das RIP (référendum d’initiative partagé) des Parlaments senken.
Der Staatschef verteidigt auch die heftigst kritisierte Reform der Vermögenssteuer für Reiche. Er verspricht aber, darauf zurückzukommen, wenn der gewünschte Effekt ausbleibt (mehr Investitionen in die französische Wirtschaft).
An seinem Reformkurs aber hält Macron fest, er wolle die Umwandlung des Landes vorantreiben, das sei ein Gebot von Pragmatismus und Vernunft. Dass er dabei oft hart und ungerecht wirke, bedauert er. «Aber ich übernehme lieber Verantwortung und bin unpopulär, nur zu verführen ist kurzlebig.»
Ausgang ungewiss
Die Opposition von ganz links bis ganz rechts lässt bereits kein gutes Haar an Macrons Ausführungen. Doch wenn man auch kaum von einem grossen Wurf sprechen kann, der das Land aus seiner fortschreitenden Selbstzerfleischung aufrütteln wird, dann hat der Präsident doch einige präzise und sehr konkrete Massnahmen und Ideen auf den Tisch gelegt.
Ob sich die aufgeheizte Stimmung damit beruhigen lässt, wird sich spätestens morgen Samstag zeigen. Wenn die Gelbwesten zum 24. Mal mobil machen.