Über ein Drittel der spanischen Bevölkerung zwischen 15 und 24 Jahren gemäss offiziellen Angaben der OECD arbeitslos. Nirgends in Europa ist die Jugendarbeitslosigkeit höher, nirgends haben so viele Menschen befristete Verträge wie in Spanien.
Manuel ist 29 Jahre alt und hat einen Masterabschluss in digitalem Marketing. In Spanien fand er damit keine Arbeit, hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Als Tellerwäscher, Kellner und auch auf dem Bau, erzählt er in einer Reportage im spanischen Fernsehen.
Ständig fragte ich mich: Wann fängt mein Leben an?
Zu Hause ausziehen habe er sich nach dem Studium nie leisten können, obwohl er arbeite, seit er 16 sei, sagt Manuel. Unabhängigkeit, eine eigene Wohnung, das sei stets ein Traum geblieben. Irgendwann hielt er die ständige finanzielle Unsicherheit nicht mehr aus und zog nach Grossbritannien: «Ich ging, weil es keine Alternative gab. Ständig fragte ich mich: Wann fängt mein Leben an?»
So wie Manuel geht es vielen jungen Spanierinnen und Spaniern. Selbst Hochqualifizierte finden im eigenen Land nur selten eine Stelle. Und wenn doch, ist es oft nur ein kleines Pensum, ein Temporär-Job, Schwarzarbeit.
Probleme strukturell bedingt
Unbefristete Verträge und Vollzeitanstellungen sind selten. Santiago Niño-Becerra, einer der bekanntesten Ökonomen des Landes, bringt es auf den Punkt: «In Spanien – und es klingt schrecklich, wenn ich das so sage – haben wir zu viele Menschen.»
Zu viele Arbeitnehmende für wenige Stellen. Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit halten sich seit Jahrzehnten hartnäckig, sie sind strukturell bedingt. Es gibt wenig Industrie, die Wirtschaft ist stark abhängig vom Tourismus- und Bausektor, reagiert sensibel auf Konjunkturschwankungen.
In Spanien – und es klingt schrecklich, wenn ich das so sage – haben wir zu viele Menschen.
Trifft eine Krise den ohnehin fragilen Arbeitsmarkt, ist die Katastrophe perfekt: Die Arbeitslosenzahlen schnellen weiter in die Höhe. So war es nach der Finanzkrise 2008 und so ist es jetzt mit der Corona-Pandemie.
Die Jungen bleiben auf der Strecke
Am härtesten trifft es jeweils die Jungen, die Unerfahrenen: Sie werden auf dem Arbeitsmarkt nicht gebraucht. Daran werde auch die jetzige Arbeitsmarktreform nichts ändern, ist der Ökonom überzeugt: «Die Arbeitslosigkeit kann man auf zwei Arten senken: Entweder man schafft mehr Jobs oder man schönt die Statistiken.»
Weil Ersteres unmöglich sei, habe sich die Regierung für Zweites entschieden. Das heisst: Befristete Verträge werden durch die Reform zwar in unbefristete umgewandelt. Aber weil es schlicht zu wenig Arbeit gibt, schicken Arbeitgeber ihre Angestellten trotzdem nach Hause.
Mit der Kurzarbeit raus aus der Statistik
Dort sitzen sie dann, beziehen staatliche Kurzarbeitsgelder. Aber – und das ist der Trick – sie tauchen in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr auf, gelten schon mit nur einer einzigen geleisteten Arbeitsstunde pro Woche als vollbeschäftigt. Weil die Jugendarbeitslosigkeit so dem Schein nach sinkt, erhält Spanien wichtige Unterstützungsgelder von der Europäischen Union. Aber das Problem mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit löst das nicht.
Auswandern als einzige Lösung?
Hier entwickle sich Spanien ähnlich wie die nordafrikanischen Maghreb-Staaten, sagt der Ökonom: «In den Maghreb-Staaten gibt es viele Junge und zu wenig Arbeitsplätze. Deshalb wandern die Leute aus. Ich glaube, in Spanien passiert gerade das Gleiche.»
Wieso also kann Spanien vor diesem Hintergrund für seine Jugend keine Perspektiven schaffen? Selbst renommierte Ökonomen wie Santiago Niño-Becerra schütteln ratlos den Kopf: «Ganz ehrlich? Ich weiss es nicht.»