Im ersten Moment war Marcello Canuto vor allem eines: ziemlich überrascht. Er hätte nicht erwartet, dass die Daten, die sie studierten, eine Stadt von dieser Grösse beinhalten würden. Canuto ist Direktor des Mittelamerika-Instituts an der Tulane-Universität in New Orleans in den USA.
Sein Team hat nachweisen können, dass im Bundesstaat Campeche im Süden Mexikos mitten im Dschungel eine Maya-Stadt verborgen liegt. Die fast 7000 Gebäude liegen auf einer Fläche etwa so gross wie die Stadt Genf – rund 16 Quadratkilometer.
Im 8. und 9. Jahrhundert, der Blütezeit der indigenen Maya-Völker, sollen dort bis zu 50'000 Menschen gelebt haben. Wohnhäuser, Handelsplätze, ein Amphitheater, auch einen Sportplatz, auf dem die Menschen eine antike Ballsportart gespielt haben dürften, konnten die Forschenden ausfindig machen – obwohl sie gar nicht vor Ort waren.
Zufällige Stichprobe
Einer seiner Mitarbeiter sei auf kartografische Daten von Umweltwissenschaftlerinnen aus Mexiko gestossen, erzählt Marcello Canuto. Diese hätten sich zwar sehr für die Bäume und Pflanzen, aber nicht für die Strukturen am Boden interessiert.
Dank einer speziellen Lasertechnologie sei es seinem Team dann gelungen, auch die Bodenbeschaffenheit zu analysieren. So hätten sie erkannt, dass unter dem dichten Dschungel Gebäude versteckt sind.
Der Fund sei reiner Zufall gewesen. Und genau das sei das Faszinierende daran, sagt Canuto. «Es ist eine Zufallsstichprobe. Die Daten sind frei von Vorurteilen, sie wurden nicht von unseren Erwartungen als Archäologen beeinflusst.» Wenn man hingegen den Fokus auf etwas Bestimmtes lege, erhalte man vielleicht kein umfassendes Verständnis für eine Gesellschaft.
Dichte Besiedlung
Das bedeute auch, dass in der Region so gut wie überall Maya gelebt haben könnten. Ungefähr von 600 bis 900 nach Christus war die Region dicht besiedelt, es gab viele Städte. Wenn jetzt eine völlig zufällige Stichprobe dies bestätigt, ist es wahrscheinlich, dass diese Stadt die ganze Region ziemlich gut repräsentiert.
Anders, als viele glaubten, seien die Maya nicht nur in kleinen Dörfern und Stämmen organisiert gewesen, so Canuto. Das Beispiel in Campeche zeige, wie die Völker in komplexen Städten gelebt hätten.
Noch ist kein Forschungsteam direkt dort hingereist. Aber nicht weit entfernt führt eine Strasse vorbei. Vermutlich müsste man nur eine Viertelstunde durchs Dickicht wandern, um die Stadt zu erreichen. Mexikanische Archäologen seien bereits daran, einen Besuch der verborgenen und überwachsenen Maya-Stadt zu planen, sagt Canuto.