Auf dem Büchertisch im Eingangsbereich liegen Kochbücher mit Weihnachtsrezepten. Gegrillte, gebackene und gegarte Truthähne, die in dicken braunen Saucen schwimmen. Bücher sind in dieser Bibliothek aber eigentlich nur die Kulisse des Geschehens. Die Earlham Library in Norwich sei in erster Linie ein öffentliches Wohnzimmer, sagt die Bibliothekarin Caroline Bowers.
«Wir haben hier einen wunderbaren Ort, wo sich Leute für einige Stunden aufwärmen können. Sie können während dieser Zeit zu Hause die Heizung abstellen und so Geld sparen für andere lebensnotwendige Dinge.»
In der 100-jährigen Volksbibliothek gibt es heissen Tee und Kuchen. Einmal pro Monat überprüft ein Techniker unentgeltlich elektrische Heizdecken. Jeweils am Montag werden gratis Zahnbürsten, Seifen und Shampoo abgeben, doch in diesen Tagen verteile man auch sogenannte «warm bags», erzählt Carolines Kollegin Alison.
«Diese ‹Wärme-Taschen› enthalten warme Unterwäsche, eine Bettflasche, Handschuhe, eine Mütze und eine Decke, damit die Leute in ihren kalten Wohnungen nicht allzu sehr frieren müssen.»
Die Bibliothek im Nordosten Englands ist einer von über 3000 registrierten «Warm Welcome Spaces» in Grossbritannien. Öffentliche Orte, wo sich Menschen, die zu Hause frieren, aufwärmen können. Die steigenden Lebenskosten, insbesondere die hohen der Gaspreise, treiben immer mehr Britinnen und Briten in die Armut.
Geld fehlt zum Heizen
Gemäss den Initiantinnen von «Warm-Spaces» sind in diesem Winter Millionen Menschen in Grossbritannien von «Energie-Armut» bedroht. Das heisst, sie haben nicht genug Geld, um ihr Haus oder ihre Wohnung genügend zu heizen.
Einer von ihnen ist der 69-jährige Sam. Er komme jeden Tag in die Earlham Library. «Es ist wunderbar, einen Ort zu haben, wo sie jeden Tag einige Stunden an der Wärme verbringen können. Die Bibliothek bemüht sich, den Leuten das Leben ein bisschen angenehmer zu machen. Es gibt immer Kaffee, heissen Tee und Biskuits und einen Platz zum Sitzen.»
Es sei nicht schön, wenn man sein ganzes Leben gearbeitet habe und im Alter frieren müsse, klagt die 74-jährige Betty. «Wenn Sie alt und einsam sind, macht es krank und depressiv, wenn Sie zu Hause sitzen und frieren müssen.»
An der Decke der Bibliothek hängt ein übergewichtiger Engel. Ein Schild an der Wand weist darauf hin, dass Hungrige mittwochs und samstags in der nahen Kirche gratis Lebensmittel beziehen können. Aus einem Lautsprecher hinter den Kochbüchern rieseln in einer Endlosschleife Weihnachtsmelodien. Eine ältere Dame in einem geblümten Wollmantel erzählt von ihren Kindern und Grosskindern, die abends in Decken gehüllt im unterkühlten Wohnzimmer sitzen, weil der Sohn arbeitslos ist.
Hilfsbereitschaft an ihrer Grenze
In diesen schwierigen Zeiten kommt leider auch die Hilfsbereitschaft an ihre Grenzen. «Wir müssen immer mehr Leute betreuen, aber immer weniger Menschen haben noch Geld übrig, um zu spenden», klagt die Bibliothekarin Caroline.
Die britischen Bibliotheken fordern deshalb von der Regierung dringend Unterstützung. Damit sie in diesen Tagen, wenn die Nächte länger, dunkler und kälter werden, frierenden Menschen ein bisschen Wärme und Zuwendung spenden können.