Die Wende im Fall Assange kommt überraschend, aber nicht aus heiterem Himmel. Die Hoffnung auf eine politische Lösung zeichnete sich bereits vor einigen Wochen ab. US-Präsident Joe Biden hatte angetönt, dass seine Regierung allenfalls auf eine Auslieferung verzichten könnte. Dies, wenn der Wikileaks-Gründer sich des Verrats von Staatsgeheimnissen teilweise schuldig bekenne. Nun hat man offenbar einen diplomatischen Deal gefunden.
Assange wurde vergangene Nacht von London mutmasslich nach Bangkok ausgeflogen, von wo aus es weitergehen soll auf die Nördlichen Marianen – eine Insel im Pazifik, die den USA gehört. Dort bekennt sich Assange voraussichtlich morgen vor einem US-Richter im einen oder anderen Punkt der Anklage schuldig. Vielleicht wird er gar zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Diese dürfte ihm aber umgehend erlassen werden, weil Assange die vergangenen Jahre bereits in Gefangenschaft verbracht hat. Danach kann der australische Staatsbürger in seine Heimat zurückkehren. Ein Drehbuch, das einem Spionage-Roman entspringen könnte, in dem aber alle das Gesicht wahren können.
Bis 175 Jahre Haft für Publikationen
Julian Assange gründete die Wikileaks-Website im Jahr 2006. Dort wurden im Verlauf der Jahre mehr als 100 Millionen Dokumente veröffentlicht, darunter viele vertrauliche oder geheime Berichte. Im Jahr 2010 veröffentlichte Wikileaks ein Video aus einem US-Militärhelikopter, das die Tötung von Zivilisten in der irakischen Hauptstadt Bagdad zeigte.
Wikileaks veröffentlichte auch Tausende vertraulicher Dokumente, die von der ehemaligen Geheimdienstanalystin der US-Armee, Chelsea Manning, zur Verfügung gestellt wurden. Im Jahr 2019 bezeichnete das US-Justizministerium die Leaks als «einen der grössten Verluste von Geheimakten in der Geschichte der Vereinigten Staaten». Im Falle einer Verurteilung drohten ihm in den USA nach Angaben seiner Anwälte bis zu 175 Jahre Gefängnis.
Assange hat eine Weltmacht blamiert
Ob Assange ein Journalist ist, darüber kann man geteilter Meinung sein. Er hat in grosser Menge Dinge veröffentlicht, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren. Das hat Konsequenzen. Besonders, wenn man damit eine Weltmacht blamiert. Diese bekam Assange in voller Härte zu spüren. Er verbrachte die vergangenen dreizehn Jahre in Gefangenschaft. Zuerst in der ecuadorianischen Botschaft in London. Die vergangenen fünf Jahre im britischen Hochsicherheitsgefängnis Bel Marsh.
Assange sei mittlerweile körperlich und mental ein gebrochener Mann, erzählen Leute, die ihn im Gefängnis aufgesucht haben. Es war die australische Regierung, die zunehmend Druck auf Washington machte, Gnade vor Recht walten zu lassen. Es gehe nicht an, dass ein australischer Staatsbürger weiterhin in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis eingekerkert bleibe, kritisierte der australische Premierminister Anthony Albanese wiederholt. Der Mann habe genug gebüsst. Mit gutem Grund nimmt damit dieses Justizdrama ein humanes Ende. Ein Staat hat zwar die Aufgabe zu strafen, aber gelegentlich ebenso seine Bürgerinnen und Bürger vor einem übermächtigen Staat zu schützen.