Menschen, die sich an startende US-Transportflugzeuge klammern, um vor den Taliban zu fliehen: Die Bilder aus Kabul gingen um die Welt und machten auf einen Schlag klar, dass es zu einer grösseren Fluchtwelle aus Afghanistan kommen dürfte. Das wird auch Europa zu spüren bekommen.
Österreich hat bereits deutlich gemacht, dass es eine harte Linie fahren wird. So hält Innenminister Karl Nehammer nichts davon, verfolgte Afghaninnen und Afghanen aufzunehmen. «Es muss unser Ziel sein, dass wir die Menschen, die Afghanistan verlassen, in der Region halten und dabei die Länder, die Hilfe leisten, nicht im Stich lassen.»
Das «Problem» auslagern
Eine Flüchtlingswelle wie im Jahr 2015 dürfe es unter keinen Umständen mehr geben. Christdemokrat Nehammer geht sogar noch einen Schritt weiter. Selbst jetzt, nach der Machtübernahme der Taliban und dem Chaos im Land, wolle er Afghaninnen und Afghanen gar weiterhin zurückschaffen: «Es soll weiterhin möglich sein, vor allem gewalttätige Asylbewerber oder bereits Asylberechtigte abzuschieben.»
Es muss unser Ziel sein, dass wir die Menschen, die Afghanistan verlassen, in der Region halten.
Der Innenminister regte vor kurzem an, die EU solle Asylbewerber ganz generell nicht mehr in europäischen Staaten unterbringen, sondern sonst irgendwo, in Drittstaaten. Die Bewerber müssten den Ausgang des Asylverfahrens dann dort abwarten. Und selbst wenn sie Asyl erhielten, dürften sie nicht nach Österreich kommen, sondern müssten in diesem Drittland bleiben.
Diese Idee, das Asylproblem – natürlich gegen Geld – weitestgehend auszulagern, stammt allerdings nicht aus Wien. Als erster EU-Staat hatte das sozialdemokratisch regierte Dänemark diesen Vorschlag gemacht.
Die Regierung in Kopenhagen plant, mit Ländern in Afrika oder im Nahen Osten darüber zu verhandeln, ob diese Länder dänische Asylsuchende dauerhaft übernehmen würden. Auch osteuropäische Länder interessieren sich für die Idee, die aber viele Fragen des Völkerrechts und der Machbarkeit aufwirft.
Wir haben eine rechtliche, moralische und politische Verantwortung afghanischen Flüchtlingen gegenüber.
Damit positioniert sich die Regierung von Kanzler Sebastian Kurz weit rechts. Wobei oft vergessen geht, dass Kurz mit seiner Volkspartei ja nicht alleine regiert, sondern zusammen mit den Grünen. Der wohl prominenteste Grüne Österreichs, Bundespräsident Alexander van der Bellen, hat den Absichten der Volkspartei vergangene Woche an einer internationalen Konferenz eine deutliche Absage erteilt.
Das Staatsoberhaupt sprach von einer rechtlichen, moralischen und politischen Verantwortung afghanischen Flüchtlingen gegenüber. Und der grüne Vizekanzler Werner Kogler klagte, er vermisse beim Koalitionspartner die Menschlichkeit. Ein grüner Politiker aus Vorarlberg sprach gar von einer Schande.
Belastungsprobe für Regierungskoalition
Da knarrt es also ganz gewaltig im Gebälk der konservativ-grünen Koalition in Wien. Die Konservativen versuchen gezielt, der rechtspopulistischen FPÖ das Wasser möglichst ganz und endgültig abzugraben, mit einer Migrations- und Flüchtlingspolitik, die kaum noch Spielräume gegen rechts offenlässt. Das aber bringt die Grünen in arge Nöte. Sie drohen in dieser Koalition vollends marginalisiert zu werden.
Die Frage ist nun: Wie lange lassen die Grünen das gefallen? Bleiben sie in der Koalition, drohen sie wegen der restriktiven Flüchtlingspolitik ihre Wählerinnen und Wähler zu verlieren. Steigen sie aus der Regierung aus, gäbe es wohl schon wieder Neuwahlen. Wobei die Umfragewerte der Grünen nicht besonders gut sind. Fazit: Wegen der Flüchtlingsfrage ist schwer abschätzbar, wie es mit der konservativ-grünen Koalition weitergeht.