Mali sorgt seit Tagen mit Massenprotesten für Schlagzeilen. Am Wochenende kamen mehrere Menschen bei gewalttätigen Zusammenstössen mit den Sicherheitskräften ums Leben. Manche befürchten nun, dass das bitterarme westafrikanische Land südlich der Sahara in die Anarchie abgleiten könnte. Für Afrikakenner David Signer ist einzig klar, dass sich Präsident Keïto kaum an der Macht wird halten können.
SRF News: Weshalb kommt die Eskalation im bitterarmen Mali gerade jetzt?
David Signer: Es gibt zwei Auslöser. Einerseits die vom Verfassungsgericht annullierten Parlamentswahlen von März/April. Andererseits tauchten Bilder des Präsidentensohns auf, der mit leicht bekleideten Mädchen mitten in der Coronakrise Partys feiert – währendem alle anderen zu Hause bleiben müssen. Beides hat die Menschen in Mali empört.
Selbst die Soldaten aus Frankreich und der Allianz G5-Sahel werden der Dschihadisten nicht habhaft.
Die Menschen sind seit Längerem wütend auf ihren Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta, weil er im flächenmässig riesigen Norden des Landes islamische Extremisten schalten und walten lässt. Wieso sind diese Dschihadisten kaum zu besiegen?
Sie sind in einem sehr grossen, extrem dünn besiedelten Territorium in der Sahara aktiv. Die Grenzen sind sehr lang, offen und schwer zu kontrollieren. Die Dschihadisten wiederum sind ortsansässig und kennen das Gebiet sehr gut. Selbst die Soldaten aus Frankreich und der Allianz G5-Sahel werden ihrer nicht habhaft.
Was muss geschehen, damit Mali nicht in die Anarchie abgleitet?
Wenn man davon ausgeht, dass Präsident Keïta jetzt abtritt, ist das wahrscheinlichste Szenario, dass der konservative Geistliche Imam Mahmoud Dicko, der Anführer des aktuellen Aufstands, die Macht übernimmt. Ob das zu mehr Stabilität im Land führt, ist jedoch schwierig zu sagen.
Mit welchen Argumenten konnte Dicko derart viel Sympathien in der Bevölkerung gewinnen?
Er klagt die Regierung der Korruption an – zurecht – und er empört sich über die Franzosen im Land. Sie waren vor acht Jahren gegen die Islamisten ins Land gerufen worden. Doch inzwischen wirft Dicko ihnen Neokolonialismus vor. Ausserdem kommt die durch die Coronakrise verstärkte wirtschaftliche Misere hinzu.
Die Protestierenden fordern den Rücktritt Keïtas vehement. Für ihn wird es immer enger.
Wird Präsident Keïto von selber zurücktreten?
Die Wahrscheinlichkeit ist gross. Er hat zwar verschiedene Reformen angekündigt, das umstrittene Verfassungsgericht aufgelöst und eine Umbildung der Regierung versprochen. Doch das allein wird die Protestierenden nicht beruhigen. Sie fordern seinen Rücktritt sehr vehement, für Keïta wird es jetzt immer enger.
Und was kommt danach?
Am wahrscheinlichsten ist wohl eine Übergangsregierung unter Imam Dicko. Die Frage ist dann, ob sich dieser als populistischer Volksführer an die Macht klammert oder ob es freie Neuwahlen geben wird.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.