Nach Ansicht der Führung in Kiew richtet der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine immer mehr Schaden in Russland selbst an. So will Präsident Wolodimir Selenski nach dem Aufstand der Wagner-Gruppe erkannt haben, «dass der Krieg in seinen Heimathafen zurückkehrt».
Vor den Barrikaden zum Roten Platz und zum Kreml übt ein junger Mann am russischen Regime Kritik: «Das war einfach eine schlechte Führung. Genaueres kann ich nicht sagen. Aber was jetzt läuft, gefällt mir überhaupt nicht.»
Viele haben Haferbrei im Kopf. Das sagt man in Russland, wenn man nicht genau weiss, was das Ganze eigentlich sollte.
Die meisten Menschen auf den Plätzen und Strassen zeigen sich aber eher zurückhaltend. Auf die Frage, wie sie die Meuterei der Wagner-Gruppe erlebt hätten, antworten zwei Frauen lächelnd, aber offensichtlich kurz angebunden: «Wunderbar. Alles ist gut.»
SRF-Sonderkorrespondent Christof Franzen ist in Moskau unterwegs. Auch er hat am Tag danach eine gewisse Passivität feststellen können. «Man hat am Samstag auch nirgends beobachten können, dass es eine Bürgerwehr gäbe und sich die Menschen vereinen, um ihre Stadt zu verteidigen.»
Zurückschauend reden die Menschen von einem kurzen, aber grossen Schock, den sie gespürt hätten. «Viele haben Haferbrei im Kopf. Das sagt man hier in Russland, wenn man nicht genau weiss, was das Ganze eigentlich sollte.»
Wenig Interesse an der Politik
Ähnlich verneint ein Paar Gefühle der Angst. «Wir haben einen guten Präsidenten», hält die Frau fest. «Alles wird gut.»
Auf die Frage hin, was die Revolte vom Wochenende für Russland bedeute, schiebt der Mann nach: «Wir verfolgen die Politik nicht besonders. Aber was der Präsident macht, halten wir für richtig.»
Wegen des drohenden Einmarsches der Wagner-Truppen hatte der Moskauer Stadtpräsident den Montag zum freien Tag erklärt. «Das Leben in Moskau steht eigentlich nie still», erklärt Franzen. In Moskau laufe immer etwas, die grossen Shoppingcenter seien stets auch am Sonntag geöffnet, viele Läden hätten 24 Stunden geöffnet. «Die Menschen werden den freien Tag geniessen.»
Geradezu trotzig zeigt sich ein anderes Moskauer Paar. Die Frage, ob die Führung des Landes geschwächt sei, verneinen sie klar. Sie werde noch stärker, denn Staat und Volk seien vereint.
Zwar räumen die beiden ein, dass die Besetzung von Regierungsgebäuden durch Aufständische nicht normal sei. Doch der Mann mittleren Alters gibt zu bedenken, dass es «doch in jeder Familie zu Skandalen» komme. «Und manchmal schlägt man auch zu.»
Seinen Namen will der Mann nicht sagen. Aber er lässt den Schweizerinnen und Schweizern, die sich für ihr Los interessieren, ausrichten, dass Russland gewinnen werde.