Die Wagner-Truppen haben ihren Aufstand in Russland nach rund 24 Stunden abgebrochen, Anführer Prigoschin geht ins Exil nach Belarus und die Kämpfer bleiben straffrei. Was bedeutet das für den Angriffskrieg in der Ukraine? SRF-Auslandredaktor und Ukraine-Kenner David Nauer hat die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie reagieren die Menschen in der Ukraine auf den Aufstand der Wagner-Söldner?
Man spürt in Kiew eine gewisse Freude, um nicht zu sagen Schadenfreude. Es gibt aber auch eine kühle Analyse. Ein Berater von Präsident Selenski zählte zum Beispiel auf, was in Russland alles los sei: Russland sei innenpolitisch geschwächt, es habe kaum militärische Infrastruktur oder Truppen, um etwa Moskau zu schützen. Weiter werde das russische Volk im Ernstfall offenkundig nicht aufstehen, um Putin zu verteidigen. Aus ukrainischer Perspektive hat der Kriegsgegner Russland also einen Schwächeanfall. Das nimmt man natürlich mit Genugtuung zur Kenntnis und bezieht das auch in die weitere Kriegsplanung ein.
Welchen Einfluss hat der Aufstand in Russland an der Front?
Seit dem Aufstand hat sich wenig verändert. Im Osten bei der Stadt Bachmut und auch an der Front im Süden werden Kämpfe gemeldet. Angeblich soll es auch kleinere ukrainische Erfolge geben, aber keinen Durchbruch. Da die Wagner-Truppen nicht mehr direkt an der Front standen, ist jetzt durch die Meuterei nicht plötzlich eine riesige Lücke entstanden in den russischen Linien. Zudem müssen die Ukrainer zuerst zusätzliche Angriffstruppen in Stellung bringen, was nicht innerhalb von 24 Stunden möglich ist. Kurzfristig hat der Aufstand also wohl keinen Einfluss auf die Lage an der Front.
Was bedeutet die Instabilität in Russland für den möglichen Kriegsverlauf?
Für die Ukraine gilt natürlich: Je instabiler Russland ist, desto besser. Die Ukrainer arbeiten auch gezielt darauf hin, Russland zu destabilisieren. Sie wollen so viel ihres eigenen Gebiets wie möglich zurückerobern, also befreien. Sie wollen die russische Armee so sehr wie nur irgendwie möglich schwächen, damit – so der ukrainische Plan – in Russland das politische System kollabiert.
Denn die Ukrainer sind überzeugt, dass sie mit Putin keinen Frieden erreichen können. Deshalb ist es auch das grosse strategische Ziel der Ukrainer, Putin loszuwerden. Und Kiew denkt, diesem Ziel seit gestern Samstag ein gutes Stück näher gekommen zu sein. Und diese Einschätzung ist durchaus berechtigt: Denn ein Staat, in dem ein Teil der Kriegsmaschine meutert, der hat weniger Ressourcen, um an der Front zu kämpfen. Längerfristig wird Russland also geschwächt auftreten in diesem Krieg.