Wladimir Putin durchlebte an diesem Wochenende die schwersten Stunden seit Amtsbeginn. Nie zuvor wurde seine Macht so ins Wanken gebracht, nie zuvor hat er vor seinem heimischen Publikum so das Gesicht verloren.
Das Ende des Aufstandes wurde nicht vom russischen Präsidenten, sondern vom belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko verkündet. Ausgerechnet Lukaschenko, der seit Jahren vom Geldhahn Moskaus abhängig ist, soll es gelungen sein, Jewgeni Prigoschin zum Umkehren zu bewegen. Jetzt hat Lukaschenko den Spiess umgedreht und Putin die Macht gesichert. Diese Machtverschiebung wird Lukaschenko bei allen kommenden Verhandlungen mit Putin zu nutzen wissen.
Moskau gefährlich nah
Der eigentliche Gewinner des Machtkampfes in Russland ist nicht Alexander Lukaschenko, sondern Jewgeni Prigoschin. Ihm gelang es, innerhalb weniger Stunden eines der wichtigsten Militärhauptquartiere des Landes zu besetzen, und seine bewaffneten Männer zogen bis wenige hundert Kilometer vor Moskau. Wladimir Putin hatte am Samstagmorgen noch angekündigt, die Aufständischen hart zu bestrafen, um am Abend dann über seinen Pressesprecher zu verkünden, dass Prigoschin ausreisen und die Strafuntersuchung gegen ihn eingestellt werde.
Wer sich in Russland öffentlich gegen den Krieg äussert, muss mit einer Haftstrafe von bis zu 15 Jahren rechnen. Wer allerdings wie Prigoschin mit der Waffe in der Hand militärische Infrastruktur besetzt, mehrere Flugzeuge und Helikopter der russischen Armee abschiesst, kommt ohne Strafe davon. Dies, obwohl bei den Abschüssen mehrere Personen ums Leben gekommen sind. Dass Menschenleben in Russland unter Putin kein Wert beigemessen wird, hat sich auch während des Aufstandes bestätigt.
Putins Männer tappen im Dunkeln
Neu ist die Schwäche, die Putin an den Tag legte: Er, der sich immer als entschlossen und unerbittlich inszenieren wollte, wirkt vom Aufstand völlig überfordert und in die Enge getrieben. Nicht nur Putins Worte verloren an Glaubwürdigkeit, sondern auch sein Sicherheitsapparat wirkte so schwach wie nie. Der ehemalige Geheimdienstler hat den Inlandgeheimdienst zur mächtigsten Institution des Landes gemacht. Doch der Geheimdienst hat die Bedrohung für Putin weder kommen sehen noch aufhalten können.
Prigoschins hat sich vor den Menschen in Russland als Kämpfer für die Soldaten an der Front inszenieren können. Mit seinem sogenannten «Marsch für Gerechtigkeit» und Kritik an der Militärführung hat er einen Nerv getroffen. Er hat jedoch nicht die Soldaten gerettet, sondern sich selbst in Sicherheit gebracht. Die grössten Verlierer in diesem Machtkampf sind die über 140 Millionen Russinnen und Russen. Dem Land stehen chaotische Jahre bevor. Der Aufstand hat gezeigt, dass Putins Autokratie nicht zu Stabilität führt, sondern in Machtkämpfen unter Kriminellen enden wird.