Vor 28 Jahren gewann Aung San Suu Kyi den Friedensnobelpreis. Heute hat sie am internationalen Gerichtshof das burmesische Militär gegen eine Anklage wegen Völkermord an den Rohingya verteidigt. Ein unerreichbares Ziel: Was in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Rakhine-Staat geschah, ist gut dokumentiert, und kaum zu verteidigen.
Aung San Suu Kyi hatte keine Kontrolle über die Militär-Offensiven in den Jahren 2016 und 2017. Aber es war ihre freie Entscheidung, die Generäle vor der Weltöffentlichkeit zu verteidigen. International verliert sie damit die letzten Überreste ihres angeschlagenen Rufs. Warum also ist sie selbst nach Den Haag gereist? Die Entscheidung hat viele überrascht.
Aber aus nationaler Perspektive ist es ein kluger Schachzug. Ihr Auftritt in Den Haag richtet sich an das Publikum zu Hause: Sie präsentiert sich damit als Heldin, die den Ruf des Landes verteidigt. Die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der Burmesen ist ihr gewiss.
Realpolitik auf Kosten einer Minderheit
Burmesische Zeitungen haben sie heute allesamt mit Titelseiten als Kämpferin für Burma gefeiert. Das wird ihr und ihrer Partei, der NLD, bei den Wahlen im Jahr 2020 helfen. Nun gilt nicht mehr das Militär als Beschützer des Landes, sondern sie selbst.
Es gehört zum Alltag von Politikern, Diplomaten und Journalisten zu rätseln, was wirklich im Kopf von Aung San Suu Kyi vorgeht. Wer sich umhört, wie sie persönlich zur Rohingya-Krise steht, hört drei Theorien. Erstens: Sie glaubt tatsächlich, dass die Vorfälle im Westen falsch dargestellt werden. Zweitens: Sie weiss genau, was für Gräueltaten die Armee in Rakhine begangen hat, und es ist ihr egal. Drittens: Sie weiss genau, was passierte, ist aber politisch ohnmächtig und kann nichts gegen das Militär unternehmen.
Die ersten zwei dürften zutreffen. Heute sprach sie in Den Haag von bewaffnetem Konflikt als Ursache der Rohingya-Krise und nicht von Völkermord. Falls Verbrechen geschehen sein sollten, so würden diese in Burma selbst geahndet. Ihre Schilderung der Situation im Rakhine-Staat war meilenweit davon entfernt, was internationale Beobachter und Journalisten seit Jahren dokumentiert haben. Entweder glaubt sie tatsächlich, dass kein Völkermord stattgefunden hat. Oder redet die Taten der Armee absichtlich schön, um ihr Land zu verteidigen.
Die Rohingya sind für Aung San Suu Kyi nur eine Fussnote in der Geschichte von Burma. An einer Aufarbeitung der Massaker ist sie nicht interessiert. Ihr Auftritt in Den Haag ist ein Powerplay der Politikerin Aung San Suu Kyi. Sie stärkt damit ihre Position als «Mutter der Nation» und manövriert sich in die Spitzenposition für die Wahlen im nächsten Jahr.