40 Jahre war Cesare Battisti auf der Flucht. Heute ist der frühere Linksterrorist in seine Heimat Italien überführt worden. Rolf Pellegrini über Italiens bleierne Jahre und Battistis Rolle darin.
SRF News: Vor 40 Jahren floh Battisti aus seiner Heimat. Was für ein Italien trifft er heute an?
Rolf Pellegrini: Es ist ein Italien in einer schweren Krise. Ein Italien, das nicht wächst, in dem der Graben zwischen dem wohlhabenden Norden und dem zurückgebliebenen Süden tiefer geworden ist. Die absolute Armut erfasst sieben Millionen Menschen, 80'000 sollen obdachlos sein. Battisti wird von diesem Italien unter verdüstertem Himmel nichts sehen, denn er wird zumindest zu Beginn in Isolationshaft gesteckt. Aber einen Vorwand für Protest aus sozialwirtschaftlichen Gründen hätte er – weit stärker als in den 1970er-Jahren. Doch natürlich nicht für Bluttaten und Terrormorde.
Wie präsent sind der Terror der 1970er-Jahre heute noch?
Die «anni di piombo», in denen sich Links- und Rechtsextreme gegenseitig hochschaukelten, sind auch Leuten, die nicht viel lesen, bekannt.
Hat Italien diese historische Periode aufgearbeitet?
An Material fehlt es nicht. Aber gesicherte Angaben, zum Beispiel über die Beziehungen zwischen staatlichen Geheimdiensten und der Terrorszene, gibt es nicht. Die meisten, die mit linkem oder rechten Terrorismus liebäugelten, halten sich auch im hohen Alter bedeckt. Es ist auch ein Interesse des Staates spürbar, vieles unter Verschluss zu halten, was Italiens Ansehen schaden könnte.
Die meisten, die mit linkem oder rechten Terrorismus liebäugelten, halten sich auch im hohen Alter bedeckt.
Welche Position hat Battisti innerhalb des linken Terrors?
Keine gewichtige. Battisti war kein Ideologe, sondern ein Mitläufer in der kommunistischen Partei. Er war, wie so viele, enttäuscht über den zunehmend gemässigten Kurs der kommunistischen Partei. Diese redete zwar noch von Revolution, hatte sie aber in Tat und Wahrheit nicht mehr im Gepäck. Als er zur linksextremistischen Bewegung «Bewaffnete Proletarier für den Kommunismus» stiess, hatte er schon eine Karriere als Kleinkrimineller hinter sich und war verurteilt worden.
Aber in gewissen linken intellektuellen Kreisen war er dennoch ein Star.
Das glaube ich nicht. Vielleicht in Frankreich, weil man dort jene schätzt, die Bücher schreiben können. Als Autor von Krimis hatte er sich einen gewissen Ruf errungen. Sich geschliffen ausdrücken zu können, kann vor allem in Paris sogenannte Intellektuelle verführen, wegzuschauen und alles zu verzeihen.
Einer dieser Intellektuellen war der damalige Präsident Mitterrand, der Battisti Asyl gab. Wäre das noch denkbar?
Die Zeiten haben sich geändert. Der Sozialdemokrat war mit den Kommunisten ans Ruder gekommen und hatte ein Interesse daran, sich linker zu geben, als er wirklich war. Er war im Vichy-Regime zumindest anfänglich ein Sympathisant des faschistischen Generals Pétain gewesen. Viele Linksintellektuelle unterstützten ihn dennoch. Mitterrand machte daher jene italienischen Ex-Terroristen zu seinen Schutzbefohlenen.
Italiens Innenminister Matteo Salvini kritisiert diese Komplizenschaft. Könnte der Fall Battisti das bilaterale Verhältnis zwischen Frankreich und Italien zusätzlich belasten?
Gewiss nicht mehr. Macron hängt keinen utopischen Reformentwürfen von links an. Vielmehr möchte er als brillianter Technokrat das kapitalistische Frankreich modernisieren, damit es mit Deutschland mithalten kann. Doch mit diesem Vorhaben hat er einen gewichtigen Teil der vernachlässigten Provinz vor den Kopf gestossen.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.