Den Anfang machte US-Präsident Joe Biden. Er liess russische Diplomaten ausweisen, wegen der mutmasslichen russischen Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf und wegen eines grossangelegten Cyberangriffs. Moskaus Antwort an Biden liess nicht auf sich warten. Zehn US-Diplomaten mussten nach Hause. Der Kreml forderte das Weisse Haus sogar auf, von sich aus seinen Botschafter aus Moskau zurückzurufen.
Einen nächsten diplomatischen Schlagabtausch liefern sich nun Tschechien und Russland. Insgesamt werden fast 40 Diplomaten ausgewiesen – wegen einer Jahre zurückliegenden Explosion in einem tschechischen Munitionslager, hinter der russische Agenten stecken sollen. Und in Schweden fordern gleich mehrere Parteien, den chinesischen Botschafter zur Persona non grata zu erklären. Dies, weil die chinesische Botschaft einem schwedischen Journalisten, der kritisch über China berichtet, «Konsequenzen» androht.
Mit den Ausweisungen von Diplomaten könne ein Land unverzüglich seine Verärgerung ausdrücken, sagt Botschafter Emil Brix, Direktor der diplomatischen Akademie in Wien und früherer österreichischer Karrierediplomat, unter anderem als Missionschef in Moskau. Für ihn ist die jüngste Serie jedoch ungewöhnlich: «Wir stellen aktuell eine regelrechte Inflation von Ausweisungen fest. Das hängt natürlich mit der Weltlage zusammen, in der sich Spannungen aufgebaut haben.»
Geopolitische Auseinandersetzungen
Normalerweise beschränken sich Ausweisungen auf zwei Länder. Diesmal signalisieren sie jedoch Verstimmungen darüber hinaus, fast wie seinerzeit im Kalten Krieg. «Zurzeit stehen hinter den Ausweisungen nicht nur bilaterale Probleme. Dahinter verbergen sich geopolitische Auseinandersetzungen», so der erfahrene Diplomat.
Immerhin: Die Ausweisung von Diplomaten und Diplomatinnen gilt als milder Schritt. Brix spricht von einer Art «symbolischer Sanktionsmöglichkeit». Einreiseverbote für einzelne Bürgerinnen und Bürger, die Sperrung von Konten oder punktuelle Wirtschaftssanktionen böten Möglichkeiten zur Eskalation. Manche Beobachter sind dennoch beunruhigt. Ausweisungen im grossen Stil würden den kontinuierlichen Austausch gefährden und damit das gegenseitige Misstrauen schüren.
Allerdings handelt es sich bei den Ausgewiesenen nicht immer um echtes diplomatisches Personal. Es sind häufig vielmehr Geheimdienst-Leute. Während bei kleineren Ländern meist einzig der Militärattaché ein Emissär des Nachrichtendienstes ist, unterhalten Grossmächte in ihren Botschaften umfangreiche Geheimdienst-Abteilungen.
Vertrauen wird erschüttert
Solange bloss Pseudo-Diplomaten abberufen werden, dürften die bilateralen Beziehungen kaum leiden. Zumal ausgewiesene Diplomaten häufig kurz darauf durch andere ersetzt werden. Sofern sie akkreditiert werden, ist der Normalzustand wiederhergestellt.
Dennoch sieht der Direktor der diplomatischen Akademie in Wien die aktuelle Entwicklung mit Sorge: «Praktisch bestehen die meisten Austauschmöglichkeiten weiter. Doch in der Diplomatie spielt das Vertrauen eine zentrale Rolle. Und dieses ist erschüttert, was wiederum zu einer Verschlechterung der Beziehungen führt.» Problematisch sind also weniger die Ausweisungen an sich, sondern das, was sie ausdrücken. Nämlich tiefe Verstimmung. Die kann sehr wohl nachhaltig sein.