- Die EU-Kommission droht Polen mit schweren Sanktionen, weil das Verfassungsgericht entschieden hat, dass Teile des polnischen Rechts über dem EU-Recht stehen.
- Die EU-Kommission sieht darin einen Verstoss gegen die europäischen Verträge.
- In einer Rede vor dem Europäischen Parlament machte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki klar, dass er nicht an ein Einlenken denke.
- Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen drohte ihrerseits mit der Kürzung von EU-Mitteln.
Im Europäischen Parlament warf Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki der EU-Kommission «Erpressung» vor. Man werde nicht zulassen, dass dies als Mittel der Politik gegenüber EU-Mitgliedsstaaten eingesetzt werde, sagte Morawiecki an die Adresse von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerichtet. «Die Kompetenzen der EU haben ihre Grenzen, wir können nicht länger schweigen, wenn sie überschritten werden.» Den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beschuldigte er, «schleichend» die EU-Zuständigkeiten auszuweiten.
EU droht mit Konsequenzen
Kurz zuvor hatte von der Leyen Polen wegen des Infragestellens von EU-Recht schwere Sanktionen angedroht. «Wir können und wir werden es nicht zulassen, dass unsere gemeinsamen Werte aufs Spiel gesetzt werden», sagte sie in der teilweise sehr emotional geführten Parlamentsdebatte in Strassburg.
«Wir werden handeln», sagte von der Leyen in ihrer Rede im EU-Parlament. Sie beschrieb drei Optionen der EU-Kommission: So könne die Entscheidung des Verfassungsgerichts mit einem Vertragsverletzungsverfahren geahndet werden, an dessen Ende Strafzahlungen stehen könnten. Zweite Option wäre die Einbehaltung von EU-Strukturhilfen für Polen. Drittens könnte Polen nach Artikel 7 des EU-Vertrags auch Stimmrechte entzogen werden.
Landesverfassung oder EU-Recht?
Hintergrund des Streits ist ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Diese Entscheidung wird von der EU-Kommission als höchst problematisch angesehen, weil sie der polnischen Regierung einen Vorwand geben könnte, Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu ignorieren.
Das Urteil stelle die Grundlagen der EU infrage, kritisierte von der Leyen im Parlament. «Es ist eine unmittelbare Herausforderung der Einheit der europäischen Rechtsordnung. Nur eine gemeinsame Rechtsordnung ermöglicht gleiche Rechte, Rechtssicherheit, gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten und daraus resultierend gemeinsame Politik.»
Morawiecki verwies hingegen darauf, dass auch die Verfassungsgerichte anderer EU-Mitgliedstaaten keinen absoluten Vorrang von EU-Recht sehen und warf dem EuGH Kompetenzüberschreitungen vor. Er zitierte dabei aus Urteilen des Obersten Gerichtshofes in den Niederlanden, des französischen Verfassungsrats und des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Allerdings hat bislang kein Gericht eines EU-Lands Teile des gemeinsamen Rechts grundsätzlich infrage gestellt.
Die von der EU-Kommission angedrohten Sanktionsverfahren gegen Polen können aber nur vorangetrieben werden, wenn eine grosse Mehrheit der anderen EU-Staaten dies unterstützt. Dies ist bislang alles andere als sicher. Hinzu kommt, dass Polen bei einstimmig zu treffenden Entscheidungen der EU das Veto einlegen kann und so zum Beispiel die gesamte EU-Aussenpolitik lahmlegen könnte.