Zu feministisch und gegen die Männer. So wird in den chinesischen sozialen Medien über den Barbie-Film munter gestritten. Deshalb entschied Annie vor ein paar Tagen, sich den Film selbst anzuschauen.
Das erzählt die E-Commerce-Expertin Anfang Dreissig beim Mittagessen: «Weil ich gelesen habe, dass Männer den Film nicht ertragen, wollte ich ihn selbst sehen.» Sie fand den Film nicht gegen die Männer gerichtet, aber einen speziellen Moment im Kino will die geschiedene Annie unbedingt teilen.
Den Zuschauern stockt der Atem
Während eines Monologes einer Filmfigur über Widersprüche des Frauseins habe dem Publikum der Atem gestockt. Bei Aussagen wie Frauen müssten dünn sein, aber nicht zu dünn. Sie sollten liebevolle Mütter sein, aber nicht ständig über die Kinder sprechen. Da war die Anspannung im Saal förmlich greifbar, meint Annie.
Entsprechend glaube ich, dass diese Szene das Publikum besonders berührt hat.
Es seien Erfahrungen, die bei Frauen in Ostasien auf eine besondere Resonanz stossen. Hier würde von den Frauen verlangt, dass sie tugendhaft und wohlgesittet seien, dass sie fast alles für die Familie aufgäben. «Entsprechend glaube ich, dass diese Szene das Publikum besonders berührt hat.»
Für einmal keine Zensur
Um das Rollenbild der Frau drehen sich auch die Diskussionen in den sozialen Medien. Dass diese Debatten von den Zensurbehörden überhaupt zugelassen werden, überrascht Feng Yuan von Equality, einer Nichtregierungsorganisation in Peking, die sich für Frauenrechte einsetzt.
Denn gemäss ihrer Erfahrung werden Dialoge über Frauenrechte und über die Situation der Frauen in China sehr oft schnell gelöscht. «Deshalb nutzen Frauen jede Möglichkeit, solche Debatten anzustossen», sagt Feng Yuan.
Junge Frauen wollen Veränderung
Diskussionsbedarf hätten vor allem junge Frauen, weiss die NGO-Vertreterin. «Diese jungen Frauen denken, die Familienverpflichtungen sollten gerechter verteilt sein, und sie wollen gleiche Chancen im Arbeitsmarkt, in der Gesellschaft.»
Geschätzte sieben Millionen weibliche Singles leben und arbeiten in den grossen, liberaleren Zentren in China. Viele ziehen auch dorthin, um dem Druck ihrer Familien auszuweichen, die eine Heirat und Kinder wünschen.
Filme, Serien und Bücher führen zur Debatte
Es gebe inzwischen mehr Serien, Bücher und eben Filme wie Barbie, welche das klassische Rollenbild der Frau in China hinterfragen, meint Feng Yuan von der Frauenrechtsorganisation in Peking.
Das gebe den Frauen mehr Möglichkeiten, über die Situation zu sprechen, und es kreiere auch ein Bewusstsein in Bezug auf Frauenrechte. Doch bis sich etwas ändere für die Frauen in China, sei es noch ein langer Prozess.
Das findet auch Single-Frau Annie in Shanghai: «Wenn ich sehe, wie die Leute streiten wegen dieses Filmes, wird mir klar, wir haben noch einen langen Weg vor uns.» Immerhin darf die Diskussion über die Rolle der Frau diesmal stattfinden.