Eine mögliche Invasion Chinas in Taiwan ist in den USA ein Dauerthema. Und erst recht in Ostasien. «Die Regierungen und die Öffentlichkeit in Europa nehmen die Gefahr zu wenig ernst», sagt Bonnie Glaser, die bei der Denkfabrik German Marshall Fund das Asienprogramm leitet und die US-Regierung berät.
«Ein Krieg um und gegen Taiwan hätte katastrophale Auswirkungen auch auf Europa. Die ökonomischen Folgen wären weitaus gravierender als jene des Ukraine-Krieges, weil China und Taiwan wirtschaftlich viel bedeutender sind als Russland und die Ukraine», so Glaser. Auch werde China nach Taiwan kaum Halt machen, sondern die Dominanz in Asien weiter ausbauen.
China würde nach der erfolgreichen Einverleibung des Inselstaats kaum Halt machen.
Glaser ist überzeugt, dass sich Chinas Machthaber bei Taiwan kein Nachgeben leisten können, zumal sie seit Jahren die eigene Bevölkerung indoktrinieren, der kleine Nachbarstaat müsse heimgeholt werden. Staatschef Xi Jinping verlange von seiner Armee, 2027 für eine Invasion bereit zu sein.
Die rote Linie
«Noch ist keine politische Entscheidung gefallen, ob und wann es dazu kommt», betont Glaser. Hingegen gebe es für Peking rote Linien: Wenn Taiwan seine Unabhängigkeit erklärt, wenn die USA eine formelle Verteidigungsallianz mit Taiwan eingehen oder wenn Taiwan sich Atomwaffen zulegt.
Dann reagiere China mit einer raschen und umfassenden Invasion. Eine solche wäre indes laut der Expertin nicht risikolos: «Scheitert der Überfall, wären das Regime von Staatschef Xi und der kommunistischen Partei in Gefahr.»
Taiwan chancenlos?
Doch hätte Taiwan die geringste Chance gegen die Supermacht China? Ja, findet Glaser, zumindest einige Tage oder gar Wochen. Das Land habe die Verteidigung kräftig hochgefahren. Zudem: «Die Amerikaner würden Taiwan fast sicher zu Hilfe eilen – ausser Taipeh provoziert mit einer Souveränitätserklärung einen chinesischen Einmarsch.»
Die Amerikaner würden Taiwan fast sicher zu Hilfe eilen – ausser dessen Regierung provoziert mit einer Souveränitätserklärung einen chinesischen Einmarsch.
Auch Washingtons Glaubwürdigkeit stünde auf dem Spiel – bei all den formellen Alliierten im asiatisch-pazifischen Raum: in Japan, Südkorea, Australien oder Neuseeland. Die USA könnten sich ein Nichteingreifen gar nicht erlauben – sonst würden sich zumindest Südkorea und Japan wohl Atomwaffen zulegen, so Glaser.
Wie weiter?
Doch wären die USA einer direkten Konfrontation mit China gewachsen? «Momentan wohl nicht», glaubt Glaser. Auch wenn bereits Präsident Obama Asien zur sicherheitspolitischen Priorität erklärt habe, beruhe die US-Präsenz im Westpazifik massgeblich auf verletzlichen Basen, etwa im japanischen Okinawa, in Guam, in Südkorea. China rüste in dieser Weltgegend seit Jahren stärker auf als die USA. Doch schrittweise positionierten sich die Amerikaner besser, investierten mehr und klüger.
Im Vordergrund steht für Glaser, einen Grosskrieg in Ostasien zu vermeiden: Weder Taiwan noch die USA dürften Chinas rote Linie überschreiten. Der Westen soll Taiwan kräftig unterstützen – bei Verteidigungsanstrengungen, mit Handelsabkommen, auf diplomatischer Bühne und mit Truppenpräsenz in den internationalen Gewässern der Region.
Skeptisch sieht Glaser Parlamentarier-Besuche in Taiwan. Einen solchen plant auch eine Schweizer Delegation für Februar. Sie riet 2022 Nancy Pelosi, der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, vom Besuch ab. Er habe Taiwan mehr geschadet als genützt, denn China nutze das als Vorwand für zusätzliche Schikanen und Drohgebärden. Taipeh wünsche zwar solche Besuche, doch sie seien oft den Preis nicht wert.