Die schwedische Friedensnobelpreisträgerin Beatrice Fihn wertet es positiv und negativ zugleich, dass auf einmal wieder über Atomwaffen geredet wird: «Wir müssen darüber sprechen, sie sind vorhanden – und solange sie existieren, ist ihr Einsatz immer möglich.» Mit verheerenden Folgen.
Zu sehr sei in den letzten drei Jahrzehnten das Bewusstsein für die atomare Gefahr verloren gegangen. Das Schweigen über Atomwaffen trage dazu bei, sie zu legitimieren und als normalen Teil von Waffenarsenalen zu betrachten.
Russland droht und testet unverblümt
Die Art und Weise, wie nun im Ukraine-Krieg über die potenteste und zerstörerischste aller Waffengattungen gesprochen werde, sei höchst problematisch, findet die Chefin von Ican, der weltweiten Kampagne gegen Atomwaffen: «Viel lauter müsste als absolut inakzeptabel kritisiert werden, dass Kremlchef Putin unverblümt mit seinen Atombomben droht.»
Die Debatte über den Ukraine-Krieg wird auch von Atomwaffen geprägt. Es bräuchte nun ein unüberhörbares Signal, dass der Einsatz von Atomwaffen tabu bleiben muss.
Skandalös sei, dass der Kreml vor und sogar während seines Krieges gegen die Ukraine Übungen mit Atomwaffen durchführe – und ernsthaft deren Stationierung auch in Belarus erwogen werde, so Fihn. Hingegen sei richtig, wenn der Westen nicht mit Gegendrohungen reagiere.
Es sei jedoch nicht wegzureden: «Die Debatte über den Ukraine-Krieg wird auch von Atomwaffen geprägt. Es bräuchte nun ein unüberhörbares Signal, dass der Einsatz von Atomwaffen tabu bleiben muss», so Fihn.
Wo sind die Atombomben-Gegner?
Gehör verschaffen müsste sich laut Fihn nun die Zivilgesellschaft weltweit. Ebenso alle Regierungen, die hinter dem stark von Ican geprägten UNO-Atomverbotsvertrag von 2017 stehen. Eine klare Mehrheit der 193 UNO-Mitglieder hat unterzeichnet.
Die erste Gelegenheit kommt im Juni in Wien, wenn sich die Vertragsstaaten treffen – mit dem Ziel, den Atomverbotsvertrag breiter abzustützen. Denn ausgerechnet jene neun Staaten stehen abseits, die Atombomben besitzen. Ebenso alle Nato-Mitglieder.
Kritik an der Schweiz
Und vorläufig auch die Schweiz, wo das Parlament zwar Druck macht, jedoch der Bundesrat lieber den alten Atomsperrvertrag von 1970 stärken möchte.
Die Haltung der Schweiz findet Fihn frustrierend. Zumal ihre Organisation Ican in Genf beheimatet ist. Und weil die Schweiz als Sitzstaat des IKRK und Hüterin der Genfer Konventionen eine besondere Verantwortung hat. Gemäss diesen Konventionen sind Atombomben illegale Waffen, da sich beim Einsatz unmöglich zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden lässt.
Auch Atomsperrvertrag kommt auf dem Tisch
Ebenfalls im Sommer findet bei der UNO in New York die wegen Corona mehrfach verschobene Überprüfungskonferenz des historischen Atomsperrvertrags statt. Er verbietet Staaten, Atomwaffen zu erwerben und verlangt von jenen, die sie bereits haben, abzurüsten – allerdings ohne zeitliche Vorgabe.
Die aktuell enormen geopolitischen Spannungen und der Ukraine-Krieg machen einen neuen Anlauf zur atomaren Abrüstung besonders dringlich – und auch besonders schwierig. Derzeit herrscht punkto Abrüstung Stillstand. Vielmehr rüsten etliche Staaten atomar auf.
Katastrophe verhindern
Vereinzelt gebe es zwar Fortschritte, sagt Fihn: «Immer mehr Banken, Investmentfirmen und Pensionskassen investieren keine Mittel mehr in Unternehmen, die mit Atomwaffen Geld verdienen.» Doch es bräuchte mehr.
Nichtstun sei keine Option. Sonst drohe eine Katastrophe, so Fihn. Etwa eine Neuauflage der Kuba-Krise von 1962, als die Welt haarscharf einem Atomkrieg entging. Dieser würde sich diesmal mitten in Europa abspielen.