Polen rüstet auf – obwohl das Land schon heute mit 4.3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) die prozentual höchsten Verteidigungsausgaben aller Nato-Staaten hat. Nun soll Warschau weitere 96 Kampfhelikopter des Typs «Apache» bekommen. Die USA gaben diese Woche grünes Licht für die Lieferung. Damit hätte Polen die weltweit grösste Flotte dieses Typs ausserhalb der USA.
Der Grund für die polnische Aufrüstung ist der Krieg im Nachbarland Ukraine. Zudem grenzt mit Belarus ein enger Verbündeter Russlands ebenfalls an Polen.
Das Geschäft im Umfang von 12 Milliarden Dollar würde Polen erlauben, sich aktuellen und künftigen Gefahren besser entgegenzustellen, teilte das US-Aussenministerium mit. «Das Land kann so eine glaubwürdige Streitmacht aufbauen, die in der Lage ist, Gegner abzuschrecken und an Nato-Operationen teilzunehmen.»
Kampfjets, Panzer und Haubitzen
Der Kauf der Helikopterflotte reiht sich ein in eine massive Aufrüstung, die Warschau vorantreibt. Der Fokus liegt dabei vor allem auf schwerem Gerät, wie Jan Opielka, freier Journalist in Polen, ausführt: «Polen will insgesamt mehr als 1300 neue Panzer anschaffen.»
Weiter auf dem Einkaufszettel: Über 600 Haubitzen und 32 F-35-Kampfjets, die auch die Schweiz aus den USA beschaffen will. «Es handelt sich um massive Aufrüstung», sagt Opielka. «Damit wird Polen, was die Panzer- und Apache-Flotte angeht, zu den grössten Armeen in Europa gehören.»
Zur Aufstockung des Militärarsenals kommen Truppenverschiebungen an die belarussische Grenze: Wagner-Kämpfer, belarussische Helikopter und steigende Flüchtlingszahlen hatten Warschau Mitte August dazu veranlasst, 10'000 Soldaten an seine Ostgrenze zu verlegen.
Ein russischer Angriff auf Polen könnte eine unberechenbare Kettenration bis hin zu einem Weltkrieg auslösen.
Doch für wie realistisch hält man in Warschau einen Angriff durch Russland oder dessen Verbündeten Belarus? Laut Journalist Opielka kursieren darüber unterschiedliche Sichtweisen im Land: Militärexperten würden eine direkte militärische Konfrontation mit Russland zwar für unrealistisch halten, da Polen als Nato-Mitglied den Rückhalt des westlichen Militärbündnisses hat. «Ein russischer Angriff auf Polen könnte eine unberechenbare Kettenration bis hin zu einem Weltkrieg auslösen.»
Aber: Eine militärische Lagebeurteilung muss nicht zwingend mit der politischen übereinstimmen. Und tatsächlich weichen sie in Polen voneinander ab. «Die Regierung hofft am 15. Oktober auf die Wiederwahl bei den Parlamentswahlen. Sie zeichnet ein Bild, das einen russischen Angriff als realistisch darstellt», sagt Opielka. «Für viel wahrscheinlicher halte ich aber hybride Angriffe und Destabilisierungsmassnahmen vonseiten Russlands.»
Die «Washington Post» berichtete zuletzt über verdeckte russische Operationen in Polen. Demnach soll der russische Geheimdienst Zivilisten im Land angeheuert haben, um den Boden für Sabotageakte auf westliche Waffenlieferungen in die Ukraine vorzubereiten. So etwa, indem sie polnische Häfen und den Güterverkehr filmten und auskundschafteten.
Politisch gibt es in Polen tiefe Gräben zwischen liberalen und rechtsnationalistischen Kräften. Die militärische Aufrüstung ist allerdings breit abgestützt, schliesst Opielka: «Oppositionelle kritisieren auch die erheblichen Ausgaben nicht, die damit verbunden sind. Und auch Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung den Kurs stützt.»