In Polen haben am Sonntag Hunderttausende Menschen gegen die nationalkonservative PiS-Regierung protestiert. Die Menschenmengen in der Warschauer Innenstadt bildeten eine Schlange von mehr als eineinhalb Kilometern.
Der Hauptgrund für den Massenprotest: Mit einem neuen Gesetz will die Regierung eine Untersuchungskommission einsetzen. Diese soll prüfen, ob sich Amtsträger in der Vergangenheit von Russland beeinflussen liessen und so Polens Sicherheit gefährdet haben.
Kommission ritzt Gewaltenteilung
Kritiker werfen der PiS vor, sie wolle mit dem Gesetz wenige Monate vor der Parlamentswahl im Herbst Oppositionspolitiker ausbremsen.
Auch Jan Opielka, freier Journalist in Polen, hält das Gesetz für gefährlich. Denn die geplante Kommission würde die Rolle von Geheimdiensten, Gerichten und Staatsanwälten vereinen. «Gleichzeitig wäre sie ein politischer Körper, weil ihre Mitglieder von der regierenden PiS bestimmt werden würden. Laut Verfassungsrechtlern erinnert das an diktatorische Regime.»
Die regierende PiS versucht, sich den Staat einzuverleiben..
Doch ist es angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine nicht naheliegend, sich vor Einflussnahme des Kremls zu schützen? Immerhin blickt Polen selbst auf eine leidvolle Geschichte mit Russland zurück.
Für Opielka ist unstrittig, dass Polen als Nachbarland der Ukraine ein wachsames Auge auf russische Agitation im Land haben muss. Das sei aber Aufgabe der Geheimdienste. «Und sie kümmern sich auch darum und verrichten ihre Arbeit im Stillen. Die Kommission soll dagegen eine politische Keule gegen Oppositionelle sein.»
Hat die PiS den Oppositionsführer ins Visier?
Polnische Medien sprechen von einer «Lex Tusk». Das Gesetz soll demnach auf Oppositionsführer Donald Tusk gemünzt sein. Der Danziger war von 2007 bis 2014 polnischer Regierungschef und gilt als schärfster politischer Gegner von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski. Die Regierung wirft Tusk vor, er habe unvorteilhafte Gasverträge mit Russland abgeschlossen.
An der Grosskundgebung in Warschau verkündete Tusk, man kämpfe wie vor 30 und 40 Jahren für Freiheit und Demokratie in Polen. «Dabei schwang auch viel Pathos mit, denn schliesslich ist derzeit Wahlkampf», sagt Journalist Opielka.
Doch die Worte des ehemaligen EU-Ratspräsidenten beinhalteten auch Wahres. «Denn die Demokratie in Polen ist tatsächlich gefährdet.» So versuche die regierende PiS seit acht Jahren, sich den Staat einzuverleiben und sich selbst immer grössere Machtbefugnisse zuzuschanzen.
Im Herbst wird gewählt
Dem könnten die polnischen Wählerinnen und Wähler im Herbst einen Riegel schieben. In einigen Umfragen kommt der koalitionswillige Teil der Opposition derzeit sogar auf eine Mehrheit. «Die Opposition hat eine berechtigte Chance, die Wahlen im Herbst zu gewinnen», schliesst Opielka.
Dies zeige sich auch darin, dass am Sonntag nicht nur glühende Anhänger von Donald Tusk demonstriert hätten – sondern auch viele Menschen, die sich um die weitere demokratische Entwicklung in Polen sorgten.