Nun also doch. Die EU-Kommission von Präsidentin Ursula von der Leyen zeigt sich bereit, die Coronagelder aus dem Wiederaufbaufonds für Polen freizugeben. Zwar nicht einfach so, Polen muss noch einige Vorgaben erfüllen.
Das symbolische «Ja» der EU-Kommission ist Warschau jedoch zugesichert, obwohl in Polen bezüglich der Rechtsstaatlichkeit nach wie vor vieles nicht so funktioniert, wie es die EU-Verträge vorsehen.
Warschau macht einen Schritt in Richtung Brüssel
Brüssel und Warschau stehen seit längerer Zeit im Konflikt. Die polnische Regierung baut mit ihrer Justizreform die Judikative in weiten Teilen so um, dass man in Polen nicht mehr von einer unabhängigen Justiz sprechen kann. Mit mehreren Vertragsverletzungsverfahren hat die EU-Kommission bereits versucht, Warschau zu einem Umdenken zu bringen.
Eine nicht unabhängige Justiz kann in einem Mitgliedstaat der EU nicht akzeptiert werden. Nachdem die Urteile des Europäischen Gerichtshofs kaum etwas bewirkt haben, hat von der Leyen mit den Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds ein starkes Druckmittel in der Hand. Polen ist auf Gelder aus Brüssel angewiesen.
Hauptforderung für die Freigabe der Gelder
Die umstrittene Disziplinarkammer des obersten Gerichts muss abgeschafft werden. Das will die EU. Das soll nun auch passieren. In Brüssel argumentiert man, dass Polen diese Hauptforderung erfüllen wird und darum ein nächster Schritt in Richtung Warschau möglich sei.
Dieses Argument kann man nachvollziehen, auch wenn von der Leyen weiss, dass die Abschaffung der Disziplinarkammer nicht dazu führt, dass sich die umstrittene Justizreform noch die nationalkonservative Regierung grundlegend ändern würden.
Polen entfernt sich von Ungarn
Dieser Entscheid der EU-Kommission, dem polnischen Plan für die Auszahlung der Corona-Hilfsgelder grundsätzlich zuzustimmen, hat weit mehr Gründe als nur die Abschaffung der Disziplinarkammer. Warschau zeigt sich bezüglich des Ukraine-Kriegs äusserst solidarisch mit der Ukraine.
Polen hat bereits mehr als 3.5 Millionen Schutzsuchende aufgenommen und setzt sich an vorderster Front für harte EU-Sanktionen gegenüber Russland ein. Ausgerechnet Polen, das sich in den letzten Jahren von Brüssel weit entfernt hat, ist im Ukraine-Krieg gerade für von der Leyen äusserst wichtig geworden. Nicht nur wegen der Migrationspolitik, sondern auch wegen Viktor Orban.
Kühle Stimmung zwischen Warschau und Budapest
Der ungarische Ministerpräsident sucht nach wie vor den öffentlichen Konflikt mit von der Leyen, wie zuletzt beim Öl-Embargo. Bis anhin konnte Orban oft auf die Unterstützung aus Polen zählen. Der Ukraine-Krieg scheint dies zu ändern. Die zwiespältige Politik Orbans bezüglich des Kriegs kommt in Warschau nicht gut an.
Von der Leyen wird die Corona-Gelder also nicht nur freigeben, weil vorgegebene Kriterien erfüllt werden, sondern weil es ihr auch politisch hilft. Rechtsstaatlichkeitsprobleme bleiben in Polen trotzdem bestehen, von der Leyen entscheidet strategisch-pragmatisch.