Wären Polen und die EU ein Paar, würden in letzter Zeit ständig die Türen knallen. Und wie fast jeder Beziehungskonflikt hat auch jener zwischen Polen und der EU ein Muster: Polen verstösst gegen europäisches Recht. Es kommt zum Gerichtsprozess. Europäische Richter verurteilen Polen, doch Polen weigert sich, das Urteil umzusetzen. Es gibt eine Busse oder die EU hält Milliarden zurück. Spätestens dann knallt Polen mit der Tür.
Politiker der nationalkonservativen Regierungspartei sprechen dann von «bösartiger Erpressung», von «Besatzern aus Brüssel», oder vom «Polexit», vom Austritt Polens aus der EU. Nach diesem Muster streitet Polen mit der EU über eine Braunkohlemine, die auch im Nachbarland Tschechien die Umwelt verschmutzt, über den Umgang mit sexuellen Minderheiten – und vor allem über die sogenannte Justizreform.
«Freibrief» erneut verschoben
Mit dieser Reform höhlt die polnische Regierungspartei die Unabhängigkeit der Gerichte aus; mit dieser Reform will sie ihre Macht absichern. Daher wünscht sich die Regierung in Warschau vom Verfassungsgericht eine Art Freibrief, der es ihr erlauben würde, in wichtigen Punkten gegen EU-Recht zu verstossen – obwohl in den EU-Verträgen steht, dass europäisches Recht Vorrang vor nationalem Recht hat, und obwohl Polen diese Verträge mit der EU unterzeichnet hat.
Die polnischen Verfassungsrichter – sie wurden mit einer Ausnahme allesamt von der rechtskonservativen Regierungspartei eingesetzt – würden ziemlich sicher so urteilen, wie die Regierung sich das wünscht. Wenn sie nun ihr Urteil einmal mehr verschieben, heisst das: Polens Regierung kann ein so kontroverses Urteil im Moment nicht brauchen.
Nur winzige Minderheit für einen Polexit
Kein Wunder: Auch den polnischen Nationalkonservativen müssen nach all den zugeknallten Türen die Ohren dröhnen. Sie scheinen nicht mehr zu wissen, wie sie eine weitere Eskalation des Konflikts mit der EU ohne Gesichtsverlust verhindern können. Und das müssen sie: 88 Prozent der Polinnen und Polen wollen in der EU bleiben, nur gerade 7 Prozent wollen raus. Dass den Nationalkonservativen mulmig ist, zeigt sich darin, dass sie zwischen dem Türenknallen ganz andere Töne anschlagen.
Wichtige Teile der Justizreform hat die Regierung auf Eis gelegt. Mehrere Regionen haben die homophoben sogenannten «LGBT-ideologiefreien» Zonen wieder abgeschafft. Und Jaroslaw Kaczynski, mächtiger Chef der Regierungspartei, fühlte sich genötigt, zu sagen: Ein Polexit kommt nicht infrage. Auf Dauer werden solche kleinen Zugeständnisse nicht reichen.
Polens Regierung muss aufpassen, dass die Tür zur EU vor lauter Knallen nicht so sehr verkantet, dass sie sich irgendwann nicht mehr öffnen lässt.