Der polnische Sejm hat einem Gesetz zur Abschaffung der sogenannten Disziplinarkammer für Richter zugestimmt.
Damit nimmt Polen einen zentralen Teil seiner umstrittenen Justizreform wieder zurück und geht auf die Europäische Union zu – ein wichtiger Schritt zur Freigabe der milliardenschweren Corona-Hilfen durch die EU-Kommission.
Neue Kontrollkammer vorgesehen
Präsident Andrzej Duda hatte die Abschaffung der Kammer schon im Februar angekündigt. Die Gesetzesnovelle sieht vor, dass die derzeit in der Disziplinarkammer tätigen Höchstrichter in eine andere Kammer wechseln oder in den Ruhestand gehen können.
Anstelle der umstrittenen Disziplinarkammer soll eine neue «Kammer für berufliche Verantwortung» eingerichtet werden. Für deren Besetzung sollen unter allen Richtern des Obersten Gerichts mit Ausnahme des Gerichtspräsidenten 33 Personen ausgelost werden.
Der Staatspräsident wird aus ihnen jeweils elf Richter für eine Amtszeit von fünf Jahren auswählen. Der Entwurf sieht auch die Einführung einer Prüfung der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Richter vor.
EU dürfte Corona-Milliarden freigeben
Auch wenn es noch keine offizielle Reaktion der EU auf die Zustimmung des Sejm zum Gesetz in Polen gibt: «Ich gehe davon aus, dass man den Entscheid in Brüssel positiv sehen wird», sagt der EU-Korrespondent von SRF, Michael Rauchenstein.
Die EU macht eine Auszahlung der Corona-Gelder unter anderem von der Abschaffung der umstrittenen Disziplinarkammer abhängig.
Die polnische Opposition befürchtet allerdings, dass die Disziplinarkammer mit der Gesetzesrevision im Grunde bloss umbenannt werde. «Ich gehe trotzdem davon aus, dass die Europäische Kommission die Corona-Gelder jetzt an Polen ausbezahlen wird», sagt Rauchenstein. Denn die Forderung der EU werde ja erfüllt.
Von der Leyen reist nach Polen
Am kommenden Donnerstag besucht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Warschau. Es wird erwartet, dass sie die Wiederaufbaugelder aus dem EU-Fonds dann freigeben wird. «In Brüssel sucht man derzeit keinen Konflikt mit Warschau», betont der Korrespondent.
Schliesslich habe Polen Hunderttausende Schutzsuchende aus der Ukraine aufgenommen, und das Land zeige sich mit Kiew äusserst solidarisch. «Von der Leyen wird deshalb wohl pragmatisch handeln und die Gelder freigeben», erwartet Rauchenstein.
Das Gesetz geht nun in die zweite Parlamentskammer, den Senat. Dort gilt eine Zustimmung zum Gesetz als sicher.