Schon bisher herrschte nicht auf jedem G7-Gipfel eitel Freude und Einigkeit. Doch die Differenzen waren selten grundsätzlicher Art. Und vor allem: Man versuchte sie, unter dem Deckel zu halten.
Diesmal jedoch ist der Familienfriede derart gestört, dass alle schonungslos austeilen. Mitunter erinnern die gegenseitigen Anwürfe gar an verbale Schulhofschlägereien.
Einigkeit nicht einmal beim Thema Russland
So irritierte US-Präsident Donald Trump, indem er völlig überraschend unmittelbar vor der ersten Sitzung der G7 ankündigte: «Man hat Russland rausgeworfen. Ich hingegen finde, dass Russland künftig wieder mit am Tisch sitzen soll.»
Es wird auf diesem Gipfel zu strittigen Diskussionen kommen.
Mit Ausnahme des neuen italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte sehen das die übrigen Gipfelteilnehmer völlig anders, solange der Ukrainekonflikt nicht beigelegt ist. Damit ist klar: Auch beim Thema Russland, wo bisher noch Einigkeit zu herrschen schien, ist diese dahin.
Hanebüchene Vorwürfe an Kanada
Kurz vor dem Gipfel griff Trump sogar den Gipfelgastgeber, Kanadas Premierminister Justin Trudeau in einem Telefongespräch an, indem er behauptete, die Kanadier hätten 1812 das Weisse Haus abgefackelt. Was sachlich völlig falsch ist, denn damals gab es Kanada noch nicht, die Brandstiftung war eine Aktion der Briten.
Wenn es um Freihandel und Zölle geht, die wohl zu den heftigsten Debatten auf dem Gipfel sorgen, herrscht ohnehin Streit. Trudeau, bezeichnet die einseitig von den USA verhängten Zölle auf Stahl und Aluminium als «inakzeptabel – und letztlich auch gegen die Interessen der Amerikaner gerichtet».
Deutsch-französische Irritationen
Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der inzwischen Trump am entschiedensten herausfordert, bezichtigt ihn gar der Lüge, weil er behaupte, die Zölle seien verhängt worden, weil US-Sicherheitsinteressen bedroht seien.
Sogar die gewöhnlich auf Ausgleich bedachte Bundeskanzlerin Angela Merkel wirft dem US-Präsidenten zumindest indirekt vor, auf jegliche internationale Abkommen zu pfeifen, ob es nun den Iran geht, um Klimaschutz oder um den Welthandel: «Es zeigt sich, dass wir hier ein ernsthaftes Problem mit multilateralen Abkommen und deren Einhaltung haben. Und deshalb wird es auf diesem Gipfel zu strittigen Diskussionen kommen.»
Das Ende der Höflichkeiten
Kanadas Premier und Frankreichs Präsident versuchten monatelang mit einer Charmeoffensive, Trump zum Partner zu machen und wurden deshalb bisweilen hämisch als «Trump-Flüsterer» kritisiert. Inzwischen räumen sie ein: Sie waren völlig erfolglos: «Ich habe permanent versucht, Präsident Trump zu überzeugen – beim Klimaabkommen, beim Iranabkommen, beim Welthandel», sagt Macron.
Und Trudeau: «Ich trat Trump gegenüber stets höflich und respektvoll auf – aber nachdem das nichts gefruchtet hat, ist es nun meine Aufgabe, entschieden die kanadischen Interessen zu vertreten.»
Europa ringt um eine gemeinsame Linie
Um eine gemeinsame Linie gegenüber oder gar gegen Washington zu definieren, trafen sich heute die Europäer schon vor der gemeinsamen Gipfelrunde – ein höchst ungewöhnlicher Vorgang in einem Klub, der nach eigener Definition aus Freunden und Partnern besteht.
Der französische Präsident, der dieses Sondertreffen einberufen hat, meint: «Kein Staats- und Regierungschef ist ewig im Amt. Es gibt über eine Person und über eine Amtszeit hinaus eine Kontinuität nationaler Interessen.» Was er damit im Grunde sagen will: Man müsse jetzt halt einfach warten, bis Trump irgendwann weg sei, um mit den Amerikanern wieder vernünftig ins Geschäft zu kommen.