Die Türkei stellt sich beim Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands quer. Deshalb finden heute in Ankara Gespräche zwischen den drei Ländern statt. Doch laut dem Journalisten Thomas Seibert in Istanbul will Erdogan auch von den USA etwas.
SRF News: Worum geht es in den Gesprächen zwischen schwedischen, finnischen und türkischen Regierungsvertretern in Ankara?
Thomas Seibert: Die Türkei wirft den beiden nordeuropäischen Ländern vor, zu nah an der kurdischen PKK und deren syrischen Schwesterorganisation YPG zu sein: Schweden und Finnland hätten PKK-Mitglieder aufgenommen und würden die beiden Organisationen auch finanziell unterstützen – obwohl die PKK in der EU als Terrororganisation eingestuft ist. Jetzt will Ankara schriftliche Zusicherungen, dass die Unterstützung aufhört, ausserdem sollen Schweden und Finnland ihr Waffenembargo gegen die Türkei aufheben.
Wie stehen die Erfolgschancen des heutigen Treffens?
Die Türkei hat ihre vormals sehr harte Position in den vergangenen Tagen etwas aufgeweicht. Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt es jetzt zu, dass die Gespräche überhaupt stattfinden und signalisiert damit Verhandlungsbereitschaft. Ausserdem ist keine Rede mehr davon, dass Schweden 30 terrorverdächtige Kurden an die Türkei ausliefern soll.
Wird der Weg für Finnland und Schweden in Richtung Nato also bald frei sein?
Das kann man so nicht sagen, denn der Türkei geht es nicht nur um Finnland und Schweden, sondern auch um Zugeständnisse der USA: Erdogan hat eine neue Militäroffensive gegen die mit den USA verbündete YPG im Norden Syriens angekündigt.
Erdogan will auch Zugeständnisse der USA.
Er will, dass die USA ihre Unterstützung der YPG einstellen, die gegen die Terroristen des «Islamischen Staats» kämpft. Das türkische Vorgehen in Nordsyrien reisst also neue Gräben im Streit mit den USA auf, Erdogan nutzt den Nato-Streit weiter für seine Sache.
Gleichzeitig spitzt sich der Streit der Türkei mit dem Nachbarland Griechenland – ebenfalls ein Nato-Mitglied – wieder zu. Worum geht es dabei?
Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis rief den US-Kongress bei einem Besuch in den USA kürzlich dazu auf, keine Kampfflugzeuge an die Türkei zu liefern – darüber regt sich Erdogan jetzt auf. Er verlangt von den USA die Zusage der Lieferung von F16-Kampfflugzeugen, bevor er der Nato-Norderweiterung zustimmt.
Warum stellt sich Erdogan derart quer bei der Nato-Erweiterung?
Er braucht dringend einen Erfolg in der Aussenpolitik, um seiner schwindenden Unterstützung in der Türkei zu begegnen. Die Inflation liegt bei 70 Prozent, die türkische Lira ist immer weniger wert.
Erdogan braucht irgendetwas von Schweden, Finnland und den USA, das er als Erfolg präsentieren kann.
Erdogan will sich als Staatenlenker profilieren, der es mit dem ganzen Westen aufnimmt. Deshalb führt er den Nato-Streit in der Öffentlichkeit. Erdogan braucht irgendetwas von Schweden, Finnland und den USA, das er innenpolitisch als Erfolg präsentieren kann.
Wie heikel ist dieses Pokerspiel für Erdogan innenpolitisch?
Er muss den richtigen Zeitpunkt finden, um abzuspringen, sonst kann es für ihn schiefgehen. Schon mit Ex-US-Präsident Donald Trump hatte Erdogan einen grossen Krach, woraufhin Trump damit drohte, die türkische Wirtschaft zu «zerstören». Erdogan lenkte daraufhin ein.
Die Nato will den Streit bei ihrem Gipfel Ende Juni in Spanien beigelegt haben.
Wie es im aktuellen Fall weitergeht, wird sich heute bei dem Treffen mit den schwedischen und finnischen Vertretern zeigen. Doch der Zeitrahmen ist quasi gesetzt, weil die Nato in einem Monat bei ihrem Gipfeltreffen in Spanien den Streit aus der Welt geschafft haben will. Die nächsten Wochen werden also spannend werden.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.