Im September waren es israelische Soldaten, welche das Al-Jazeera-Büro in Ramallah schlossen. In den ersten Stunden des neuen Jahres sind es palästinensische Sicherheitskräfte, welche das Ersatzbüro des von Katar finanzierten Senders schliessen. Journalistinnen und Journalisten von Al Jazeera dürfen vorläufig nicht mehr aus dem besetzten Westjordanland berichten. Internationale Kritik folgt prompt: Das sei ein Angriff auf die Pressefreiheit.
Palästinensische Journalistinnen und Journalisten leiden in der Tat unter Zensur und Gewalt ihrer eigenen, längst nicht mehr demokratisch legitimierten Regierung.
Sicherheitskräfte bekämpfen bewaffnete Gruppierungen
Vor wenigen Tagen wurde eine 22-jährige Journalismus-Studentin erschossen, die aus Dschenin berichtete: von den palästinensischen Sicherheitskräften, behauptet ihre Familie. Diese bekämpfen seit Mitte Dezember in Dschenin bewaffnete Gruppierungen, nachdem Israel dort monatelang Krieg gegen die Hamas geführt hat.
Die junge Reporterin wurde fast am gleichen Ort und auf die gleiche Art erschossen wie die berühmte Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu-Akleh 2022: Nur wurde letztere mutmasslich von einem israelischen Soldaten getötet.
Al Jazeera wirft der palästinensischen Autonomiebehörde vor, mit ihrem Vorgehen in Dschenin den Widerstand gegen die israelische Besatzung zu unterdrücken.
Berufsverband fordert Dialog statt Verbot
Allerdings: Ausgerechnet das Palästinensische Journalisten-Syndikat – ein Berufsverband mit rund 3000 Mitgliedern – wirft Al Jazeera vor, sich nicht an berufsethische Standards zu halten. Die Berichterstattung von Al Jazeera komme einer Verherrlichung des bewaffneten Widerstandes und damit der Hamas gleich.
Aber der Berufsverband kritisiert auch das Verbot des umstrittenen Senders. Es brauche stattdessen einen Dialog zwischen den palästinensischen Behörden und Al Jazeera, unter Mitwirkung namhafter internationaler und arabischer Journalistenverbände.
Unliebsame Recherchen
Katar – das Al Jazeera finanziert – unterhält auch enge Verbindungen zur Hamas. Trotzdem gibt es bei Al Jazeera Journalistinnen und Journalisten, welche seriöse Arbeit machen. Recherchen, welche der palästinensischen Autonomiebehörde, die von der Fatah-Partei beherrscht wird, nicht passen. Nur zu gerne nimmt diese die Kritik des palästinensischen Journalisten-Syndikats an Al Jazeera zum Anlass, den Sender zu verbieten.
Dass der Berufsverband gar kein Verbot will, sondern die Freiheit, über die Gewalt in Dschenin und im Gazastreifen zu berichten, das scheint die Behörde nicht zu hören.