Über die Frage, wo ein Kind eingeschult wird, entscheiden heute viele Kriterien: So muss etwa der Anteil von Mädchen und Knaben ausgeglichen sein, und der Schulweg darf eine gewisse Länge nicht überschreiten. Ferner sollten alle Klassen ungefähr gleich gross sein. Wenn es nach Oliver Dlabac, Projektleiter beim Zentrum für Demokratie Aarau, geht, soll neu ein weiteres Kriterium hinzukommen: die soziale Herkunft.
In seiner Studie schlägt Dlabac vor, dass ein Computerprogramm die Einzugsgebiete der Schulen an den Rändern neu festlegt. Es sei wie bei einem Brettspiel, so der Studienautor: «Hier wird ein Strassenblock der einen Schule zugeteilt, dort eine Parzelle einer anderen.» Das Ziel der Rochaden: eine bessere soziale Durchmischung der Schulklassen.
Dass man davon heute weit entfernt ist, zeigt ein Blick auf die Schulhäuser der Stadt Zürich: Der Anteil von Kindern aus fremdsprachigen Familien liegt an gewissen Schulen bei 75 Prozent. Demgegenüber weisen privilegierte Quartiere höchstens 20 Prozent auf. Mit erheblichen Auswirkungen auf den Schulerfolg, sagt Dlabac: «Ob ein Kind die Anforderungen fürs Gymnasium erfüllt, hängt heute unter anderem davon ab, wo es in die Schule geht.»
Eine bessere Durchmischung dank neu definierter Einzugsgebiete – für Markus Truniger durchaus ein gangbarer Weg. Der Fachexperte für Schule und Migration fügt aber an, dass dies nur eine Massnahme unter vielen sein könne: «Ich bezweifle, ob dieser Algorithmus wirklich die erhoffte Wirkung zeigt. Wenn man die Durchmischung nämlich in grösserem Stil durchführen möchte, müsste man längere Schulwege in Kauf nehmen. Und dagegen würden sich sicherlich viele Eltern wehren.»
Entscheidend sei vielmehr, dass Schulen mit grossen Herausforderungen besser unterstützt würden. Es brauche mehr Förderprogramme für Lernende, mehr Ressourcen und mehr Lehrpersonen.
Noch deutlichere Worte findet Claude Saladin. Er leitet die Schule Leutschenbach. Diese weist einen Anteil von gut 40 Prozent fremdsprachiger Kinder auf – und trotzdem lehnt Saladin eine nach sozialer Herkunft ausgerichtete Schulzuteilung ab: «Einen solchen Algorithmus brauchen wir nicht. Klar, wir begrüssen selbstverständlich gut durchmischte Klassen. Dies muss aber organisch entstehen und darf auf keinen Fall staatlich gelenkt sein.
Die Schule sei ein wichtiger Identitätsfaktor für die Kinder. «Man geht dort zur Schule, wo man wohnt.» Er befürchtet, dass beim vorgeschlagenen Algorithmus Sozialquoten-Kinder entstehen könnten. Kinder also, welche lediglich Zahlen und Daten zuliebe in neue Klassen versetzt werden.
Bisher nur für Zürich anwendbar
Dass sich diese Zahlen ändern müssen, darüber sind sich alle einig: Jedes Kind sollte in der öffentlichen Schule dieselben Chancen bekommen. «Die Erfahrung zeigt, dass die Voraussetzung hierfür ist eine möglichst gute soziale Durchmischung ist», sagt Oliver Dlabac. Bislang ist sein Algorithmus lediglich für die Stadt Zürich anwendbar. Eine Version für andere Städte ist in Planung. Ob er jemals zum Einsatz kommen wird, ist angesichts der gemischten Reaktionen aber fraglich.