Der neue britische König Charles III. geht auf seine erste Amtsreise und besucht Schottland. Es ist jener Teil des Vereinigten Königreichs, der die Unabhängigkeit anstrebt. Charles werde gegenüber den Schottinnen und Schotten sehr genau darauf schauen müssen, die richtigen Worte zu finden, sagt die Journalistin Nicola de Paoli.
SRF News: Hat sich mit dem Wechsel auf dem Thron an der politischen Lage bezüglich Schottland etwas geändert?
Nicola de Paoli: Nein. Die schottische Regierung hatte bereits vor ein paar Wochen angekündigt, im Oktober 2023 ein neues Unabhängigkeitsreferendum durchführen zu wollen. Und auch, falls die Schottinnen und Schotten für eine Unabhängigkeit von Grossbritannien stimmen würden, bliebe Charles III. zunächst Staatsoberhaupt von Schottland.
Zurzeit stellt sich die Frage nicht, ob Schottland auch zur Republik werden soll.
Es würde sich dann allenfalls die Frage stellen, ob sich Schottland vom Königshaus lösen und zur Republik werden soll – eine Idee, die von vielen Anhängern der regierenden schottischen Nationalpartei sicher befürwortet wird. Doch zurzeit stellt sich diese Frage nicht.
Wie beliebt ist das Königshaus in der schottischen Bevölkerung?
Die verstorbene Queen Elizabeth II. war sehr beliebt in Schottland. Sie hatte auch immer klargemacht, wie sehr sie Schottland liebte. Schliesslich verbrachte sie jeweils die Monate August und September in Balmoral Castle. Sie war stets sehr präsent in Schottland.
Queen Elizabeth II. traf immer den richtigen Ton im nicht ganz einfachen Verhältnis zwischen England und Schottland.
Sie zeigte sich bei Wohltätigkeitsveranstaltungen, war Schirmherrin der Highland-Games – oder sie veranstaltete jeweils im Juli eine grosse Gartenparty in ihrem Palast in Edinburgh mit 8000 Gästen. Ausserdem traf Queen Elizabeth II. immer den richtigen Ton im nicht ganz einfachen Verhältnis zwischen England und Schottland. Diese grossen Fussstapfen muss Charles jetzt erst einmal ausfüllen.
Auf wie viel Rückhalt kann König Charles in Schottland jetzt zählen?
Es wird sich in den nächsten Jahren zeigen, was Charles mit der geschilderten Ausgangslage macht. Grundsätzlich hält er seine Meinung ja nicht zurück – sei es nun bezüglich Architektur oder Umweltschutz. Insofern wird es eine grosse Herausforderung für ihn, im nicht ganz einfachen Thema Schottland das nötige Fingerspitzengefühl zu zeigen.
König Charles könnte einigen Schaden anrichten – wenn er nicht den richtigen Ton trifft.
Queen Elizabeth verstand es meisterlich, den Ton zu treffen oder im richtigen Moment zu schweigen – und trotzdem klarzumachen, was sie denkt. Wenn Charles also nicht eine ähnlich zurückhaltende Form findet, könnte er einigen Schaden anrichten.
Charles tritt also ein schweres Erbe an?
Absolut. Er hat ein grosses Erbe und muss erst noch beweisen, dass er den richtigen Ton trifft.
Das Gespräch führte Sandro della Torre.