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Bewegende Geschichte Sarajevo Filmfestival: dem Krieg getrotzt

Das Sarajevo Filmfestival fand erstmals während des Bosnienkrieges statt. Mittlerweile ist es die wichtigste Plattform für südosteuropäisches Kino. Die spezielle Entstehungsgeschichte prägt das Festival bis heute.

In Sarajevo herrscht derzeit eine besondere Atmosphäre. Vor dem Nationaltheater ist der rote Teppich ausgerollt. In den engen Gassen der Altstadt mischen sich die verschiedensten Sprachen. Allabendlich feiern die Leute ausgelassen, wo ansonsten Autos fahren.

Der Grund dafür ist das Sarajevo Filmfestival, das derzeit zum 30. Mal stattfindet und jedes Jahr zehntausende Besucherinnen und Besucher aus aller Welt in die bosnische Hauptstadt lockt. Es ist das grösste und wichtigste Filmfestival Südosteuropas. Nirgendwo sonst werden so viele Filme aus dieser Region gezeigt.

Beginn im Krieg

Angesichts der Entstehungsgeschichte des Festivals ist diese Entwicklung bemerkenswert. Die erste Ausgabe fand mitten im Krieg statt. Sarajevo wurde damals bereits mehr als drei Jahre von serbischen Truppen belagert. Regelmässig beschossen sie von den umliegenden Hügeln die Stadt.

Wegen der Kämpfe musste das eigentlich für August geplante Festival auf November verschoben werden, erzählt Festivaldirektor Jovan Marjanovic. Der Beginn im Krieg präge das Festival bis heute: «Die Entstehungsgeschichte ist die DNA des Festivals.»

Brückenbauer in der Region

Das Festival versteht sich als Brückenbauer für die gesamte Region. Schon kurz nach dem Ende des Krieges wurden wieder Filme aus Serbien gezeigt. Man wolle die verschiedenen Geschichten der Region erzählen und die Menschen so näher zusammenbringen. Diese Ursprungsidee des Festivals sei heute genauso aktuell wie damals, ist Marjanovic überzeugt.

Am deutlichsten zeigt sich dies im Programmteil «Dealing with the Past». Dort werden Filme gezeigt, die sich mit den Konflikten der 90er-Jahre beschäftigen. Das Ziel sei es dabei, verschiedenen Perspektiven einen Raum zu geben, erklärt die Mitverantwortliche Masa Markovic. Denn noch immer wüssten viele Menschen zu wenig über die damaligen Ereignisse oder sie stecken in den jeweils dominierenden Erzählweisen fest.

Im Rahmen von «Dealing with the Past» bringt das Festival jedes Jahr 25 junge Menschen aus den verschiedenen Ländern der Region zusammen. Auch hier ist es das Ziel, Vorurteile abzubauen und festgefahrene Erzählmuster zu durchbrechen, mit denen die Menschen aufgewachsen sind und die von der vielerorts nationalistisch geprägten Politik kultiviert werden.

Der Stolz der Stadt

Aufgrund der Entstehungsgeschichte des Festivals fühlen sich viele Bewohnerinnen und Bewohner tief mit dem Festival verbunden. Es hat ihnen in den dunkelsten Stunden Hoffnung gegeben.

Heute hat es eine Strahlkraft weit über Bosnien hinaus: «Das Festival ermöglicht den Menschen, stolz auf ihre Stadt zu sein. Sie können Freunde einladen und ihnen Sarajevo in einem speziellen Licht zeigen», sagt Jovan Marjanovic. Dies ist möglicherweise der grösste Verdienst des Festivals.

Echo der Zeit, 20.8.2024, 18 Uhr

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