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Beziehung USA-Israel Jerusalem hofft (noch) vergeblich auf ein Zeichen aus Washington

Premier Netanjahu wartet noch immer auf den Anruf von Biden. Das sorgt für Missstimmung, Gerüchte und Spott in Israel.

Dramatische Musik, dann der Titel: «Kein Anruf von Biden.» So berichtete World Israel News jüngst über das, was israelische Medien seit Wochen beschäftigt: Warum ruft der neue US-Präsident nicht nach Jerusalem an? Ein ehemaliger israelischer Botschafter ermahnte Washington deswegen in einem Tweet, veröffentlichte sogar die Nummer, unter der Präsident Biden Premierminister Netanjahu jederzeit erreichen kann. Wer die Nummer wählte, landete allerdings bei einem automatischen Anrufbeantworter – was für viel Spott von israelischen Komikerinnen und Satirikern sorgte. Israelische Medien spekulierten: Hätte Netanjahu auf seinem Twitterkonto das Bild, das ihn mit Trump im Weissen Haus zeigte, früher entfernen sollen, und nicht erst Wochen nach Bidens Wahl?

Oder ging dieser öffentliche Auftritt Netanjahus zu weit? In einer Rede schien Netanjahu Biden seine Iran-Politik vorzuschreiben: kein neues Atomabkommen mit Israels Erzfeind. Einer seiner Generäle drohte: Wenn Biden das Iran-Abkommen aus Obama-Zeiten wieder aktivieren wolle, dann werde Israel iranische Nuklearanlagen bombardieren.

Zu Trump hatte Netanjahu einen direkten Draht

Die forschen Auftritte wurden selbst in Israel als Affront gegenüber Washington kritisiert. Biden zeige Netanjahu auch deshalb die kalte Schulter, heisst es in israelischen Medien. Zu Präsident Trump hatte Netanjahu jederzeit einen direkten Draht und bekam von diesem so ziemlich alles, was er wollte: Zum Beispiel die Anerkennung Jerusalems als ungeteilte Hauptstadt Israels – ein Höhepunkt in der Geschichte US-israelischer Beziehungen, nachdem zuvor unter Präsident Obama der Tiefpunkt erreicht worden war. Netanjahu befürchtet, Obamas ehemaliger Vize Joe Biden werde die Errungenschaften der Trump-Jahre rückgängig machen.

Was sicher ist: Jerusalem bleibt für die USA die Hauptstadt Israels – mit diesem Entscheid Trumps war Biden 2017 einverstanden.

Biden ist gegen Bau neuer jüdischer Siedlungen

Was Präsident Biden ablehnt, ist der Bau neuer jüdischer Siedlungen im besetzten Westjordanland. Und er hat versprochen, die UNRWA wieder zu finanzieren, das UNO-Flüchtlingshilfswerk für Palästinenser. Trump hatte diesem den Geldhahn zugedreht.

Unklar ist, was Biden mit Trumps Nahost-Friedensplan machen wird: Trumps Leute hatten zusammen mit Israel die israelisch-palästinensische Landkarte neu gezeichnet. Und: Dank Trump willigten mehrere arabische Staaten ein, ihre Beziehungen mit Israel zu normalisieren. Auf diese Abkommen ist Netanjahu besonders stolz. Mitten in der Coronakrise war der Applaus, den er von der israelischen Bevölkerung dafür bekam, jedoch verhalten. Und die israelische Satiresendung «Eretz Nehederet» mokierte sich über den Preis für das Friedensabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten: In einem Sketch sitzen Netanjahu und Kronprinz Mohammed bin Zayed auf einem F-35-Kampfjet und singen ein Friedensduett. Eine Anspielung darauf, dass Trump den Emiraten zur Belohnung für Frieden mit Israel den Kauf von US-Kampfjets erlauben wollte.

Präsident Biden hat den Kampfjet-Deal auf Eis gelegt. Was das für die Friedensabkommen heisst, ist noch genauso unklar wie Bidens künftige Nahostpolitik. Bis jetzt hat Präsident Biden offenbar noch mit keinem Staatsoberhaupt im Nahen Osten telefoniert. Der israelische Premierminister ist also nicht der Einzige, der auf einen Anruf aus dem Weissen Haus wartet.

Echo der Zeit, 14.2.21, 18 Uhr

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