Es ist die erste Auslandsreise der Schweizer Bundespräsidentin seit Ausbruch der Corona-Pandemie: Simonetta Sommaruga fliegt am Montag in die ukrainische Hauptstadt Kiew. Der Besuch soll die bilateralen Beziehungen vertiefen, heisst es in Bern.
Sommaruga hat ein breites Programm: Sie trifft den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, dazu kommen Gespräche mit Geschäftsleuten und Vertretern der Zivilgesellschaft.
Am Donnerstag ist eine Reise an die Frontlinie in der Ostukraine geplant. Sommaruga will sich ein Bild machen von der Lage. In der Region bekämpfen sich die ukrainische Armee und von Russland unterstützte Separatisten seit 2014.
Grosse Schweizer Unterstützung
Die Schweiz engagiert sich im Konflikt stark. Diplomaten vermitteln zwischen den Parteien, die Schweiz ist zudem das einzige Land, das auf beiden Seiten humanitäre Hilfe leistet. Insgesamt gibt der Bund in der Ukraine rund 25 Millionen Franken aus, um Not zu lindern, den Reformprozess zu unterstützten oder die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu stärken.
Sommaruga besucht also ein Land, in dem die Schweiz viel Gutes tut. Solche Reisen gehören wohl eher zu den angenehmeren Terminen für Spitzenpolitiker.
Mehr unter Druck steht der Gastgeber, Wolodimir Selenski. Der ehemalige Komiker ist vor gut einem Jahr zum Präsidenten gewählt worden. Sein Sieg war so überraschend wie überwältigend.
73 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer gaben ihm die Stimme – und das, obwohl er über keinerlei politische Erfahrung verfügte. Die Menschen waren müde vom Krieg im Osten, der schwierigen Wirtschaftslage, der Korruption – und erhofften sich mit Selenski einen Neuanfang.
Gelungen ist das nur bedingt. Nach Selenskis Wahl zog die Konjunktur zwar an und auch im Konflikt mit Russland gab es erste Fortschritte. Doch inzwischen ist die positive Entwicklung zum Stillstand gekommen.
Vertrauen in Selenski schwindet
Das Resultat: Selenski hat deutlich an Unterstützung verloren. Gemäss einer aktuellen Umfrage sagen 51 Prozent, sie hätten kein Vertrauen mehr in Selenski. Für den Staatschef ein Alarmsignal. Erstmals seit Amtsantritt hat er nicht mehr die Unterstützung der Mehrheit.
Das Problem ist, dass Selenski nicht mit Kritik umgehen kann.
Der Politologe Olexi Haran sagt, diese Entwicklung sei nicht überraschend. «Selenski hat viele populistische Versprechen gemacht, etwa die Armut auf einen Schlag zu beenden. Das lässt sich nicht einfach umsetzen.»
Der Politologe kritisiert zudem, dass der Präsident versuche, mehr Macht an sich zu ziehen. So mussten der Generalstaatsanwalt sowie der Chef der Nationalbank gehen – beide mutmasslich auf Druck von oben. «Es geht darum, überall eigene Leute hinzusetzen. Das Problem ist, dass Selenski nicht mit Kritik umgehen kann.»
Präsident wird von der Realität eingeholt
Positiv sieht Haran, dass die Regierung die Coronakrise relativ gut gemanagt habe. Die Fallzahlen in der Ukraine sind vergleichsweise moderat. Und: «Selenski will Frieden im Osten. Er ist weit auf Russland zugegangen, hat Kompromisse angeboten. Das Problem ist: Putin bewegt sich nicht.»
Gestartet war Selenski mit riesigen Ambitionen – und die Menschen setzten riesige Hoffnungen in ihn. Inzwischen hat den Präsidenten die Realität eingeholt. Dazu gehören innenpolitische Machtkämpfe, ein Ringen mit den russischen Nachbarn – und das Bemühen, internationale Allianzen zu festigen. Der Besuch von Sommaruga ist einer dieser realpolitischen Termine.