Zuerst berichteten israelische Quellen von der Einladung von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu an US-Präsident Joe Biden. Dann, nach siebenstündigen Verhandlungen mit Israels Kriegskabinett in Tel Aviv, verkündete es US-Aussenminister Antony Blinken in den frühen israelischen Morgenstunden. Wenig später zog das Weisse Haus nach – in Washington war es erst gerade Nacht geworden: US-Präsident Biden wird am Mittwoch nach Israel reisen, um Premierminister Netanjahu zu treffen.
Unmittelbar danach will Biden nach Amman weiterreisen, um dort noch am selben Tag den jordanischen König Abdullah zu treffen, den Palästinenserpräsidenten Abbas sowie den ägyptischen Präsidenten Sisi.
Amerikanischer Druck auf Israel
Es passt ins Bild, dass US-Aussenminister Blinken den Besuch gemäss amerikanischen Quellen erst verkündete, nachdem er von Israels Premier Netanjahu Zusicherungen zu einem Plan für humanitäre Hilfeleistung für Gaza erhalten hatte. Präsident Biden hatte zuvor in einem viel beachteten Interview mit CBS «60 Minutes» klargemacht: Die USA stehen felsenfest zu Israel, wenn es um dessen Selbstverteidigung geht, und sie teilen Israels Ziel, die Hamas entscheidend zu schlagen. Aber Biden sagte auch, es wäre «ein grosser Fehler», wenn Israel Gaza erneut besetzen würde. Jetzt wird Biden nach Tel Aviv reisen, um es Netanjahu auch von Angesicht zu Angesicht zu sagen.
Gefährdete US-Interessen
Die Biden-Regierung ist ohne Zweifel bereit, Israel umfassende militärische und politische Rückendeckung zu geben. Gleichzeitig ist die US-Regierung offensichtlich aber auch der Ansicht, dass eine vor allem von Wut, Verletzung und dem Verlangen nach Rache getriebene Bodenoffensive Israels unweigerlich in eine folgenschwere militärische wie auch moralische Krise führen würde.
Israel würde sich in Gaza unheilvoll verstricken, die USA könnten in einen Krieg im Nahen Osten hineingezogen werden und vor allem würden drei der momentan wichtigsten aussenpolitischen Ziele der USA gefährdet, wie Pulitzer-Preisträger Thomas Friedman in der «New York Times» ausführt: Die Ukraine aus dem Griff Russlands zu befreien und in den westlichen Block zu integrieren; China in Schach zu halten; und im Nahen Osten einen gegen Iran gerichteten pro-amerikanischen Block zu bilden mit Israel, Ägypten, Saudi-Arabien sowie weiteren arabischen Ländern.
Angst vor strategischem Rückschlag
Die USA mussten bereits in den vergangenen Tagen mehrere Rückschläge in ihren Bemühungen um die arabische Welt hinnehmen. Ägyptens Präsident Sisi hielt US-Aussenminister Blinken gemäss dem Portal «Politico» einen Vortrag über das Leiden der Palästinenser und Saudi-Arabiens De-facto-Herrscher, Kronprinz Mohammed Bin Salman, liess Blinken erst mehrere Stunden warten, bevor er zu einem Ende der militärischen Operationen aufrief. Die von den USA vorangetriebenen Gespräche über eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien sind offenbar auf Eis gelegt.
Nichtsdestotrotz werfen die USA gerade ihr ganzes Gewicht in die diplomatische Waagschale. Die Biden-Regierung weiss: Ihre gesamte geopolitische Strategie hängt an einem seidenen Faden.